Der Feuerthron
eine zu viel sein würde. Die Fischer wussten, wie viel sie vertrugen, und hörten früh genug auf, doch die Herrschaften aus der Stadt, die sich über die Bewohner des Fischersechstels so hoch erhaben fühlten, kannten ihre Grenzen nicht.
So war es auch bei Berrell. Kaum hatte der Beamte die Hälfte des Kruges geleert, wurde er mit einem Mal kalkweiß. Nun hoffte Mera, der Mann würde es wenigstens noch bis auf die Straße schaffen, denn sie hatte wenig Lust, das aufzuputzen, was er von sich gab.
Da trat ihre Mutter neben Berrell und drückte ihm einen kleinen Becher in die Hand. »Trinkt das! Danach wird es Euch wieder besser gehen. Der Absud stammt von meiner Mutter.«
Der Beamte schien nicht so recht zu wissen, ob er das scharf riechende Zeug über die Lippen bringen konnte, doch als auch Hannez dem Mann zuredete und erklärte, dass Großmutter Meralas Mittel ihm schon öfter geholfen hätten, schüttete er die Flüssigkeit mit Todesverachtung hinunter. Einen Augenblick später stieß er kräftig auf und fühlte sich offensichtlich besser.
Auch seine Stimme klang klarer. »Das Zeug wirkt tatsächlich!«, rief er verblüfft und schnupperte noch einmal an dem Becher.
»Merala war eine berühmte Heilerin, bevor ihre Kräfte sie verließen, und sie hat Ihrer Majestät, Königin Ilna II., als Leibärztin gedient. Jetzt kann sie den Menschen nur noch als Wetterfühlerin helfen.«
Der Beamte starrte sie ungläubig an. »Ilna II.? Aber die hat doch vor mehr als dreihundert Jahren geherrscht!«
Mera konnte sich das ebenso wenig vorstellen. So lange lebte kein Mensch. Ihre frühere Nachbarin, die alte Rinah, war zehn Jahre lang von Ihrer Majestät, der Königin, als älteste Untertaningeehrt worden, bevor sie mit einhundertundelf Jahren gestorben war. Wie hätte Ilna V. dies tun können, wenn ihre Großmutter älter gewesen wäre?, fragte sich Mera. Ihre Mutter war vor Kurzem vierzig Jahre alt geworden. Viel älter konnte die Großmutter bei deren Geburt auch nicht gewesen sein. Zwar hatte sie Großmutters wahres Alter nie erfahren, aber angenommen, sie sei zwischen achtzig und fünfundachtzig. Doch als sie jetzt darüber nachdachte, begriff sie, dass dies nicht stimmen konnte. Ihre Großmutter hatte auf seltsame Weise immer gleich alt gewirkt, ohne sich so zu verändern, wie Menschen es normalerweise taten.
»Aber das ist ...«, begann sie.
»... ganz und gar unmöglich!«, fiel Berrell ihr ins Wort. »Davon hätte ich erfahren müssen.«
»Magier halten ihre Angelegenheiten geheim, sonst würden sie nicht Geheimnisse heißen«, antwortete Meras Mutter mit leisem Spott. »Als meine Mutter spürte, dass ihre Kräfte schwächer wurden, nahm sie Abschied von ihren alten Freunden, zog hierher und heiratete. Sie wollte nicht mehr an das Leben erinnert werden, das sie vorher geführt hatte. Torrix und diejenigen, die sie gekannt hatten, haben ihren Wunsch respektiert. Aber im Palast hat man die Heilerin Merala bis heute nicht vergessen.«
Das war eine weitere Spitze gegen den Steuerschätzer, der sich in den vier Jahren, die er sein Amt wahrnahm, stets so aufgeführt hatte, als wäre er der Prinzgemahl persönlich.
Hannez zwinkerte Meras Mutter zu und trat dann zu Berrell. »Wie wär’s mit dem Heimgehen, Exzellenz? Ich muss morgen früh raus und aufs Meer hinausfahren. Die Fische fangen sich nicht von selbst.«
»Du solltest nicht hinausfahren, Hannez. Ich habe ein sehr schlechtes Gefühl bei dem Gedanken!« Mera wusste selbst nicht, was sie dazu trieb, diese Warnung auszusprechen. Sie wollte sich schon entschuldigen, als sie die Augen der Fischer auf sich gerichtet sah. Die Männer erinnerten sich an das, was Torrix über sie undihre verborgenen Fähigkeiten gesagt hatte, und auch daran, dass sie die Enkelin der Wetterhexe Merala war, die ihnen so viele Jahre lang die Stürme vorausgesagt hatte.
»Kommt etwa ein Sturm auf, Mädchen?«, fragte Hannez.
Mera hob unsicher die Hände. »Ich weiß es nicht. Es war einfach wie ein Gedankenblitz, der mich ganz plötzlich überfallen hat. Jetzt ist es wieder weg.«
Einer der alten Fischer, der selbst nicht mehr aufs Meer hinausfuhr, aber Meralas Wirken viele Jahre mitbekommen hatte, nickte eifrig. »Das war bei deiner Großmutter genauso. Sie saß da und spann Garn. Plötzlich ist sie erstarrt, hat etwas über einen kommenden Sturm oder eine andere Gefahr gesagt und ist danach wieder aufgewacht, ohne sich daran erinnern zu können.«
Seine Miene, aber auch die
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