Der Feuerthron
andere Hand aus.
Im gleichen Augenblick befand sie sich in einer völlig anderen Welt. Die Umgebung strahlte nicht mehr jenes dumpfe Schwarz der Gurrländer aus und auch nicht das satte Schwarz Girdhalas, sondern eher ein mattes Gelb, das sie auch bei Reodhendhor wahrgenommen hatte. Mera kam aber nicht dazu, sich darüber Gedanken zu machen, denn sie sah sich einer Gruppe von Girdaniern gegenüber, die sie und ihre Freunde mit ihren Waffen in Schach hielten. Ein Stück weiter vorne stritt Girdhala sich mit einer älteren Frau, die über den unerwarteten Besuch gar nicht begeistert zu sein schien.
»Das hättest du nicht tun dürfen! Gewiss sind es Spione des Kaisers von Gurrland, die unser Lager ausspionieren sollen. Wenn jetzt der Nächste von uns hinausgeht, werden die Gurrländer ihn draußen sicher schon erwarten.«
»Mein Schutzzauber hat bis jetzt immer gewirkt«, antwortete Girdhala ärgerlich. »Außerdem hat die blaue Hexe mehrere Bluthunde der Gurrköpfe verscheucht, die uns bereits aufgestöbert hatten.«
»Du hättest uns vorher fragen müssen«, keifte die Alte.
»Wie denn? Ich konnte die Leute doch nicht draußen stehen lassen. Die blaue Hexe ist übrigens eine Heilerin, und die können wir gut gebrauchen. Oder willst du, dass unsere Freunde sterben, obwohl sie hätten gerettet werden können?«
»Dieses spirrige Mädchen da soll eine Heilerin sein?« Die Alte schlurfte auf Mera zu und blieb direkt vor ihr stehen.
»Bist du eine Heilerin?« In ihrer Stimme lag eine Macht, die sich bis in Meras Gedanken fraß und ihr befehlen wollte, diese Frage zu verneinen.
Das Mädchen kniff die Augen zusammen und atmete mehrmals tief durch. »Ich besitze heilende Kräfte. Meine Großmutter war die Leibheilerin der Königinnen!«
Als sie die Augen wieder aufschlug, sah sie, wie die Alte sie anstarrte. »Das Mädchen ist wirklich stark!«, rief sie verblüfft, fand aber trotzdem noch etwas auszusetzen.
»War es nötig, dieses junge Spitzohr mitzubringen? Ich mag keine Weißen!«
»Dafür aber liebst du das Schwarz von Gurrland heiß und innig«, spottete Girdhala.
»Früher glichen sich das gurrländische Schwarz und unsere Farbe bis auf gewisse magische Abweichungen. Doch seit der neue Kaiser auf dem Feuerthron sitzt, schwingt es anders. Fast würde ich sagen, es entspricht nicht mehr der Farbe unseres Gottes. Ich ...« Die Alte brach ab und machte eine wegwerfende Geste. »Das ist nicht mehr von Belang. Wir werden uns hier so lange halten, wie wir können, und was dann kommt, wissen allein die Götter.«
»Was ist mit den Verletzten?« Mera hatte keine Lust, sich irgendein Geschwätz anzuhören, sondern wollte beweisen, dass Girdhala keine Feinde mitgebracht hatte.
»Komm mit!« Girdhala scheuchte die Männer beiseite, die noch immer ihre Waffen auf Mera und ihre Freunde richteten, und schritt voran. Jetzt fand Mera die Gelegenheit, ihre Umgebung ein bisschen genauer in Augenschein zu nehmen. Zuerst hatte siegeglaubt, in ein verborgenes Tal versetzt worden zu sein, aber nun sah sie, dass es nicht die Sonne war, die diese Gegend erleuchtete, sondern eine gelblich schimmernde Decke, die sich hoch über ihnen spannte. An einigen Stellen entdeckte sie auch gelbe Wände, die diese Decke trugen, und etliche Durchgänge, die in andere Hallen zu führen schienen.
»Imposant, nicht wahr?«, sagte Girdhala. »Wir sind durch Zufall auf dieses Labyrinth gestoßen.« Damals wollte mein Vater eigentlich mit mir und meiner Mutter diese Insel verlassen. Doch ich hatte eine Vision von diesem Ort und bin aus unserem Versteck in den Bergen weggelaufen, um das hier zu untersuchen. Wie du siehst, hat es sich gelohnt!» Girdhala hörte sich sehr stolz an, denn damals war sie, wie sie erklärte, erst fünf Jahre alt gewesen, hatte aber schon als großes magisches Talent gegolten.
Mera achtete weniger auf das, was ihre Begleiterin über das Versteck gesagt hatte, als auf ihre Bemerkung über Vater und Mutter. Ihr Blick streifte Girdhan, der mit unbewegter Miene hinter ihnen herstapfte. Konnte es sein, dass er und die junge Frau Geschwister waren?, fragte sie sich. Die Namensähnlichkeit deutete darauf hin. Allerdings sah Girdhan nicht so aus, als würde er sich besonders dafür interessieren. Nahm er es seinen Verwandten übel, dass er ganz allein unter Fremden in Ilynrah hatte aufwachsen müssen? Dieser Gedanke stimmte sie traurig. Ihre Großmutter, die Mutter und sie hatten doch alles getan, damit er sich bei ihnen hatte
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