Der Feuerthron
heimisch fühlen können.
Gleichzeitig wunderte sie sich, wie unterschiedlich die beiden aussahen. Oberflächlich betrachtet schienen sie nicht einmal dem gleichen Volk anzugehören. Girdhala war groß, schlank und sehr feingliedrig, während Girdhan trotz seiner dreizehn Jahre bereits kräftig war und eher untersetzt wirkte. Er war jetzt schon stärker als ein ausgewachsener ilyndhirischer Mann und würde noch an Größe und Kraft zulegen.
Als Mera sich nach den anderen Frauen und Männern umsah,die sie begleiteten, fiel ihr auf, wie stark sich die Geschlechter unterschieden. Zwar erinnerte sie sich daran, dass sich Männer und Frauen bei den girdanischen Flüchtlingen nicht so ähnlich gewesen waren wie die gebürtigen Ilyndhirer, doch so stark war der Unterschied ihr nie vorgekommen. Vermutlich gehörten diese äußeren Unterschiede zu den Merkmalen der magisch begabten Girdanier oder jener aus höherstehenden Familien. Alle Männer wirkten wuchtig, ja fast ungeschlacht, und besaßen mächtige Muskelpakete, waren aber mindestens um einen halben Kopf kleiner als die Frauen, die trotz ihrer Körpergröße höchstens halb so schwer sein konnten wie die Männer. Dabei wirkten die Frauen alles andere als schwach oder zerbrechlich, und die Augen der meisten glühten so schwarz wie Girdhans. Sie erinnerten Mera an elegante, geschmeidige Katzen. Die Älteren trugen schwarze Tätowierungen im Gesicht, die nur bei einem Teil von ihnen künstlichen Ursprungs waren.
In diesem Augenblick wünschte Mera sich einen Spiegel, um nachsehen zu können, ob sie sich ebenfalls verändert hatte. Ihre Großmutter hatte oft blaue Farbe auf Gesicht und Hände aufgetragen, insbesondere wenn sie das Haus verlassen hatte. Damals hatte Mera geglaubt, dies geschähe aus Achtung vor der Göttin. Jetzt begriff sie, dass Merala damit die in der Sonne stärker hervortretende magische Zeichnung ihrer Haut hatte verbergen wollen.
»Dort sind die Verletzten! Meiner Freundin Salintah geht es, wie ich schon gesagt habe, sehr schlecht!«
Girdhalas Stimme holte Mera in die Gegenwart zurück. Sie blieb stehen und betrachtete die beiden Gestalten auf den primitiven Betten. Es handelte sich um einen Mann, dessen rechter Arm und die Schulter dick verbunden waren, und um ein Mädchen in Girdhalas Alter. Dieses lag so starr und mit offenen Augen da, dass Mera erschrak, weil sie glaubte, eine Tote vor sich zu sehen. Erst auf den zweiten Blick stellte sie fest, dass der Brustkorb der Frau sich ganz langsam hob und senkte.
»Wir haben Salintah in ein Erstarrungsfeld gehüllt, damit das Leben langsamer aus ihr fließt, als es sonst geschähe.« Bei diesen Worten zog Girdhala die Decke weg, welche die Verletzte bedeckte, und Mera starrte auf ein schwärzlich verbranntes Loch im Bauch der jungen Frau, unter dem die beschädigten Organe zu erkennen waren.
»Ein Schuss aus einer Flammenlanze! Andere wären sofort gestorben, doch Salintah hat sich gegen den Tod gewehrt. Vielleicht hat sie gespürt, dass bald eine Heilerin kommt, die ihr helfen kann«, erklärte Girdhala.
Die alte Frau, die ihnen gefolgt war, stieß einen verächtlichen Laut aus. »Ihr Geist hätte gleich nach Osten zu Giringars Seelendom gehen sollen, anstatt sich an ihren Leib zu klammern und langsam zu verwehen.«
»Schweig!«, fuhr Girdhala sie an. »Salintah ist eine unserer besten Kampfadeptinnen, und sie hat noch keine Töchter, an die sie ihre Gaben hätte weitergeben können. Zudem ist sie die Einzige außer mir, die den Schutzzauber sprechen kann, der unser Versteck verbirgt. Wenn mir etwas zustoßen sollte, wärt ihr auf ewig in dieser Welt ohne Sonne und Sterne eingesperrt!«
Mit einer verzweifelten Geste wandte sie sich an Mera. »Kannst du ihr helfen?«
Mera starrte auf die fürchterliche Verletzung, schluckte erst einmal und schüttelte dann den Kopf. »So eine schlimme Verletzung habe ich noch nie behandelt.«
»Versuche es wenigstens! Salintah darf nicht sterben.« Girdhala begann zu weinen, und dies erschreckte Mera mehr, als wenn sie geflucht oder sie beschimpft hätte. Sie spürte, dass die Frau, die sie für Girdhans Schwester hielt, nicht nur die Anführerin, sondern auch der gute Geist dieser Gruppe war. Wenn sie schwach wurde und Fehler machte, würde es das Ende für alle bedeuten.
»Große Blaue Ilyna, hilf!«, betete sie und legte die Hände auf die Schwerverletzte. Diese bäumte sich auf, als hätte ein Peitschenhiebsie getroffen, keuchte und stöhnte, und
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