Der Findling
standen sie Tag für Tag mit dem Morgenrothe auf, kauften dann ihre Vorräthe ein, um diese schleunigst wieder abzusetzen, wozu sich auf dem Perron des Bahnhofs bei Ankunft und Abgang der Züge die beste Gelegenheit bot, und wanderten dann durch verschiedene Stadttheile, während Birk seinen Schaukasten ohne Murren auf dem Rücken trug. Nur des Sonntags, wenn im Vereinigten Königreich alle Städte, Flecken und Dörfer feiern, gönnten sie sich einige Ruhe, besserten die Kleidung aus, räumten zu Hause auf und stellten ihre Dachkammer so sauber wie möglich her, wonach der eine seine Buchführung in Ordnung brachte und der andre sich im Lesen, Schreiben und Rechnen übte. Am Nachmittage gingen sie dann in Begleitung Birks bis hinunter nach Queenstown – zwei wackre kleine Bürger, die nach einer Woche fleißiger Arbeit zur Erholung lustwandelten.
Eines Tages gestatteten sie sich, in einem Boote um die Bai zu fahren, und hier erblickte Bob zum ersten Male das grenzenlose Meer.
»Und weiter draußen, fragte er, wenn man auf dem Wasser immer, immer weiter fährt, was findet man denn da?
– Ein großes Land, Bob.
– Größer als unsres?…
– Tausendmal so groß, Bob, und die großen Schiffe, die Du siehst, brauchen zur Reise dahin wenigstens acht volle Tage!
– Giebt’s denn in jenem Lande auch Zeitungen?
– Zeitungen, Bob?… O, zu hunderten… Zeitungen, die das Stück sogar mit sechs Pence verkauft werden.
– Das weißt Du bestimmt?
– Ganz bestimmt… ich weiß auch, daß man Monate brauchen würde, um sie alle durchzulesen!«
Bob betrachtete mit Bewunderung den erstaunlichen Findling, der im Stande war, so etwas zu versichern. Bezüglich der gewaltigen Schiffe, der mächtigen Dampfer, die gewöhnlich in Queenstown vor Anker gingen, fühlte er das lebhafteste Verlangen, einmal deren Deck zu betreten und auf den Masten herumzuklettern, während Findling es sicherlich vorgezogen hätte, den Laderaum und die Fracht in Augenschein zu nehmen.
Bisher hatten aber beide nicht gewagt, an Bord eines solchen zu gehen ohne Erlaubniß des Kapitäns – einer Persönlichkeit, von der sie sich die übertriebensten Vorstellungen machten. Ihn zu fragen, dazu fehlte ihnen der Muth. Der Kapitän ist auf dem Schiffe ja »der Nächste nach Gott«, wie es Findling gehört und es Bob wieder gesagt hatte.
So blieb der Wunsch der beiden Knaben noch immer unbefriedigt. Hoffentlich sollte er noch einmal in Erfüllung gehen, gleich den andern Wünschen, die in ihnen erwachten.
Achtes Capitel.
Der erste Heizer.
So vollendete sich das Jahr 1882, das in den Activen und Passiven Findlings mit so vielen glücklichen und unglücklichen Conten, mit der Vertreibung und dem Verschwinden der Familie Mac Carthy, von der er nie wieder etwas gehört hatte, mit den drei auf Trelingarcastle zugebrachten Monaten, seinem Zusammentreffen mit Bob, der Niederlassung in Cork und mit dem Gedeihen seines kleinen Handels, verzeichnet stand.
Während der ersten Monate des neuen Jahres erlahmte der Verkehr zwar noch nicht, er schien aber seinen Höhepunkt überschritten zu haben. Da Findling einsah, daß er unter solchen Umständen nicht weiter vorwärts kommen könne, trug er sich stets mit dem Gedanken, nun eine einträglichere Operation – nicht in Cork, sondern in einer bedeutenderen Stadt Irlands zu wagen. Immer lag ihm dafür Dublin im Sinn, und er hoffte, es werde sich schon eine Gelegenheit bieten, sein Vorhaben auszuführen.
Januar, Februar und März verstrichen. Die beiden Knaben sparten, wo sie konnten, jeden Penny. Ihr kleines Vermögen nahm einmal auch plötzlich mehr zu, als ihnen ein besondres »Geschäft« mit recht gutem Nutzen zufiel. Es handelte sich dabei um eine politische Flugschrift bezüglich der Wahl Parnell’s, zu deren Vertrieb in den Straßen von Cork und von Queenstown Findling das ausschließliche Recht erhielt. Wer die Broschüre kaufen wollte, mußte sich also an ihn, allein an ihn wenden, und Birk trag einen hübschen Posten davon auf dem Rücken. Die Sache hatte überraschenden Erfolg, und beim Abschluß der Rechnung zu Anfang des April befanden sich in der Cassa dreißig Pfund, achtzehn Schillinge und sechs Pence. So reich waren die Knaben noch niemals gewesen.
Jetzt entstanden lange Verhandlungen über die Frage der Ermiethung eines kleinen Ladens in der Nähe des Bahnhofs. Es wäre ja so hübsch gewesen, ein eignes Heim zu haben. Gerade Bob, dem schon nichts mehr unerreichbar schien, drängte mehr und
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