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Der Findling

Der Findling

Titel: Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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niemand etwas, nicht einmal gegen Grip, der übrigens nur eine unklare Vorstellung von der Bedeutung der Messe und der Vesper hatte. Nach einem zweiten Besuche aber, als er sich gerade mit der alten Kriß allein befand, wagte er die Frage, was denn Gott eigentlich sei.
    »Gott?… antwortete die alte Frau, deren schreckliche Augen durch die dicken ihrer Pfeife entströmenden Wolken blitzten.
    – Ja, Gott?…
    – Das ist der Bruder des Teufels, dem er die unartigen, vormäuligen Kinder zuschickt, um sie in dessen höllischen Feuer verbrennen zu lassen.«
    Auf diese Antwort erblaßte der Findling, und obwohl er gern gewußt hätte, wo sich diese glühende Hölle befinde, wagte er es doch nicht, die alte Frau Kriß danach zu fragen.
    Fortwährend aber dachte er an diesen Gott, der nur die Aufgabe zu haben schien, kleine Kinder zu bestrafen, und wie schrecklich zu bestrafen, wenn er die Worte der Kriß für Wahrheit halten konnte.
    Die Sache drückte ihn dermaßen, daß er darüber eines Tages mit seinem Freunde Grip reden wollte.
    »Sage mir einmal, Grip, hast Du schon zuweilen von der Hölle reden hören?
    – Ja, dann und wann, Kleiner.
    – Und wo ist denn die Hölle?
    – Das weiß ich freilich nicht.
    – Sage mir… wenn man dort die bösen Kinder verbrennt, wird da auch Carker verbrannt werden?
    – Gewiß, im lichterlohen Feuer!.
    – Ich, Grip, ich bin wohl nicht so schlecht, nicht wahr?
    – Du?… Schlecht?… Nein, das glaub’ ich nicht.
    – Dann werd’ ich also nicht verbrannt?…
    – Kein Härchen wird Dir versengt!
    – Und Dir auch nicht, Grip?
    – Nein, nein, mir auch nicht!«
    Grip hielt es aber für angezeigt, hinzuzufügen, bei ihm lohne es gar nicht der Mühe, da er so mager sei.
    Das war also alles, was der Findling bis jetzt von Gott wußte und was er vom Katechismus gelernt hatte. Dennoch verrieth ihm trotz seiner Jugend eine innere Stimme, was Recht und was Unrecht war. Wenn er auch nicht nach den Vorschriften der alten Hausverwalterin der Lumpenschule bestraft zu werden fürchtete, so drohte ihm das um so mehr von seiten O’Bodkins’.
    Dieser war nämlich gar nicht zufrieden mit ihm. Der Findling figurierte noch nicht auf dem Conto der Einnahmen, wohl aber auf dem der Ausgaben. Das Bürschchen verursachte nur Unkosten (wenn diese auch gering waren) und erwarb nichts. Die andern, welche bettelten und gelegentlich wohl Kleinigkeiten stahlen, trugen doch in etwas zu den Kosten der Wohnung und der Nahrung bei, während dieses Kind gar nichts heimbrachte.
    Eines Tages machte ihm O’Bodkins darüber die bittersten Vorwürfe, wobei er ihn durch die Brille mit strengem Blicke maß.
    Der kleine Knabe hatte Selbstbeherrschung genug, nicht zu weinen, als er von O’Bodkins als verantwortlichem Leiter und Director der Schule diese Predigt erhielt.
    »Du willst wohl gar nichts thun? herrschte dieser ihn an.
    – Doch, Herr Director, erwiderte das Kind. Sagen Sie mir nur, was ich thun soll.
    – Nun irgend etwas, was so viel einbringt, wie Du hier kostest.
    – Das möcht’ ich gerne, ich weiß es aber nicht anzufangen.
    – Ei, da läuft man den Leuten auf der Straße nach, spricht sie an, ob sie etwas zu besorgen haben….
    – Ich bin zu klein, niemand will mich dazu haben.
    – So durchwühlst Du die Abraumhaufen an den Ecksteinen, darin ist immer noch etwas zu finden.
    – Ja, mich beißen aber die Hunde, und ich bin nicht stark genug, ich kann sie nicht fortjagen.
    – Wirklich? Hast Du denn Hände?
    – Ja.
    – Und hast Du auch Beine?
    – Ja.
    – Nun also, so laufe den Wagen nach und bettle einige Coppers, da Du nichts andres machen kannst.
    – Ich soll Coppers betteln!«
    Der Findling fühlte einen Stich im Herzen, so empörte sich sein natürlicher Stolz, und er erröthete bei dem Gedanken, die Hand ausstrecken zu sollen.
    »Das bin ich nicht im Stande, Herr O’Bodkins! sagte er.
    – Ach, das könntest Du nicht? –
    – Nein!
    – Doch könntest Du denn leben, ohne zu essen?… Nein, nicht wahr? Ich sage Dir aber, daß ich nächstens mit Dir doch eine solche Probe anstellen werde, wenn Du nicht etwas ersinnst, Deinen linterhalt zu verdienen! Jetzt trolle Dich weg!«
    Seinen Unterhalt verdienen, und das im Alter von vier Jahren und wenigen Monaten! Freilich verdiente er ja schon etwas bei dem Puppenschausteller, doch auf welche Weise! Der Kleine trollte sehr bestürzt davon. Wer ihn dann in seinem Winkel gesehen hätte, wie er mit gekreuzten Armen und hängendem Kopfe dasaß, der

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