Der Findling
die Großmutter aber sechsundsiebzig Jahre alt. Das ergab für beide zusammen vierundachtzig Jahre, zweiundvierzig für jeden, rechnete die Großmutter aus.
»Und kraft meines Alters,«… setzte sie hinzu.
Da sich alle bestrebten, gegen sie zuvorkommend zu sein, fand ihr Vorschlag ohne Widerspruch Annahme. Die junge Mutter, die für Findling eine Art mütterliche Zuneigung hegte, stimmte ebenfalls zu. Nur Martin und Martine waren nicht ohne weiteres schlüssig, da über die Familienverhältnisse des auf dem Friedhofe in Limerick gefundenen Knaben gar keine Auskunft zu erhalten gewesen war.
Da machte Murdock den letzten Zweifeln ein rasches Ende. Er wies darauf hin, daß der Knabe bei seinen vortrefflichen Anlagen und seinem lobenswerthen Verhalten genug Sicherheit biete, daß er auch später seine Pflichten erfüllen werde, und diese Darstellung führte die endliche Entscheidung herbei.
»Willst Du denn? fragte er den Knaben.
– Ja, Herr Murdock,« erklärte Findling.
Er antwortete mit so bestimmtem Tone, daß es jedem auffiel. Unzweifelhaft war er sich klar über die Verantwortlichkeit, die er für die Zukunft seines Pathenkindes auf sich nahm.
Am Morgen des 26. Septembers waren alle zu der heiligen Handlung bereit. Mit den Sonntagskleidern angethan, begaben sich die Frauen im Wagen, die Männer zu Fuß, und alle in gehobenster Stimmung nach der Pfarrkirche in Silton.
Kaum hatten sie diese aber betreten, als eine Schwierigkeit auftauchte, an die vorher niemand gedacht hatte, bis der Parochialgeistliche darauf hinwies.
Auf seine Frage, wer der Taufzeuge der Neugebornen sei, antwortete Murdock:
»Hier, Findling.
– Wie alt ist dieser?
– Siebenundeinhalb Jahr.
– Siebenundeinhalb?… Das ist zwar etwas jung, doch kein gesetzliches Hinderniß. Er hat doch wohl einen andern Namen als blos Findling?
– Wir kennen keinen andern, Herr Pfarrer, ließ die Großmutter sich vernehmen.
– Keinen andern?« versetzte der Geistliche.
Dann wendete er sich an den Knaben.
»Du mußt doch einen Taufnamen haben? fragte er.
– Ich habe aber keinen, Herr Pfarrer.
– O doch, mein Kind! Oder solltest Du zufällig überhaupt nicht getauft sein?«
Ob nun zufällig oder nicht, jedenfalls konnte Findling darüber keinerlei Aufschluß geben, da er sich an eine ihn betreffende Tauffeierlichkeit natürlich nicht erinnern konnte. Es erschien wirklich seltsam, daß die so religiöse und gewissenhafte Familie Mac Carthy nicht schon früher auf diese Frage gekommen war. In der That hatte aber niemand daran gedacht.
In der Meinung, nun unmöglich der Taufzeuge der kleinen Jenny werden zu können, stand Findling völlig verblüfft daneben.
»Nun, wenn es noch nicht geschehen ist, Herr Pfarrer, rief da Murdock, so kann er ja getauft werden.
– Doch, wenn er das schon wäre! bemerkte die Großmutter.
– O, so wird er einfach ein doppelter Christ, sagte Sim. Taufen Sie ihn nur vor der Kleinen….
– Nun ja, warum nicht? antwortete der Geistliche.
– Dann könnte er als Taufzeuge dienen?
– Gewiß.
– Und es hindert nichts die Vornahme dieser zwei Taufen gleich nach einander? erkundigte sich Kitty.
– Das ich nicht wüßte, erklärte der Geistliche, vorausgesetzt, daß sich für Findling ein Taufzeuge und eine Zeugin findet.
– Dazu erbiete ich mich, sagte Martin.
– Und ich mich ebenfalls,« setzte Martine hinzu.
Wie glücklich fühlte sich der Knabe, auf diese Weise mit seinen Pflegeeltern noch enger verbunden zu werden.
»O, ich danke… ich danke allen…!« rief er wiederholt, während er der Großmutter, Kitty und Martine lebhaft die Hände drückte.
Da er nun einen Taufnamen erhalten mußte, entschied man sich für »Edit«, den Kalenderheiligen des betreffenden Tages.
Edit!… Recht so! Höchst wahrscheinlich blieb ihm aber doch der Name Findling auch ferner; hatten sich doch alle daran schon so sehr gewöhnt.
Der junge Kirchenzeuge wurde also zuerst getauft; nach dieser Ceremonie hielten die Großmutter und er das Kind über das Taufbecken und die Kleine wurde, entsprechend dem Wunsche ihrer Pathin, »Jenny« getauft.
Sofort verkündeten die Glocken dem Kirchspiele die Vollziehung der feierlichen Handlung, krachten vor der Kirche Kanonenschläge und regnete es Coppers auf die Straßenjugend der Ortschaft. Was hatte sich aber alles vor der Thüre des Gotteshauses versammelt! Es schien, als ob alle Armen der Grafschaft sich hier ein Stelldichein gegeben hätten.
Die Heimkehr nach der Farm
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