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Der Findling

Der Findling

Titel: Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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und ein ergreifenderes Bild, als dieser Trauerzug einer ganzen verhafteten Familie, die die Leiche einer armen, hochbejahrten Frau begleitete, konnte es wohl nicht geben.
    Findling, der sein Entsetzen endlich überwunden hatte, lief durch die verwüsteten Räume des Hauses, wo die Trümmer der Möbel umherlagen; immer rief er laut… keiner, keiner antwortete ihm!…
    Jetzt dachte er auch an seinen Schatz, an die Kieselsteine, die ihm die Zahl der seit seinem Verweilen in Kerwan verflossenen Tage angeben mußten. Er suchte die Kruke, worin er sie verwahrt hatte, und fand diese unzerbrochen in einem Winkel. Ach, diese Kiesel! Auf der Schwelle sitzend, begann Findling sie zu zählen: es waren deren fünfzehnhundertvierzig.
    Das entsprach vier Jahren und achtzig Tagen – vom 20. October 1877 bis zum 7. Januar 1882 – die er auf der Farm verlebt hatte.
    Jetzt mußte er die Stätte verlassen und wollte versuchen, die Familie, die ja zur seinigen geworden war, wieder aufzufinden.
    Vor dem Aufbruche machte Findling noch ein Packet aus seiner Wäsche, die er in einer halbzerbrochenen Schublade gefunden hatte. In der Mitte des Hofes aber brach er ein Loch neben der am Tage der Geburt des kleinen Mädchens gepflanzten Tanne aus dem harten Boden und verscharrte darin das Gefäß, das seine Kieselsteine barg.
    Dann warf er noch einen letzten wehmüthigen Blick auf das zerstörte Haus und wanderte nach der Landstraße zurück, die schon das Dunkel der Dämmerung beschattete.
     
    Ende des ersten Theiles .

Zweiter Theil.

Erstes Capitel.
Ihre Herrlichkeiten.
    Ohne sein gewohntes vornehmes Auftreten zu verleugnen, nahm Lord Piborne verschiedene, auf seinem Tische liegende Papiere auf, ordnete die da und dort verstreuten Zeitungsblätter, durchsuchte die Taschen seines goldgelben Plüschschlafrocks, durchwühlte auch die eines stahlgrauen Ueberziehers, der über der Lehne eines Armstuhles hing, und wendete sich dann zurück, während ein kaum bemerkbares Runzeln der Augenbrauen an seiner Stirn sichtbar wurde.
    In dieser hocharistokratischen Weise und ohne sonstige Veränderung der Gesichtszüge pflegte Seine Herrlichkeit stets auch dem lebhaftesten Unbehagen Ausdruck zu geben.
    Eine leichte Neigung des Oberkörpers deutete darauf hin, daß er sich sogar einmal bücken wollte, um einen Blick unter den von einer großen, schwer befranzten Decke verhüllten Tisch zu werfen. Davon kam er jedoch zurück und »geruhte« auf den Knopf einer Klingel zur Seite des Kamins zu drücken.
    Fast augenblicklich erschien John, der Kammerdiener, auf der Thürschwelle des Gemaches und blieb hier regungslos stehen.
    »Sieh nach, ob mein Portefeuille hier unter den Tisch gefallen ist,« sagte Lord Piborne.
    John bückte sich nieder, hob die faltenreiche Decke etwas in die Höhe und richtete sich mit leeren Händen wieder auf.
    Das Portefeuille Seiner Herrlichkeit fand sich an dem bezeichneten Platze nicht.
    Ein zweites leichtes Stirnrunzeln des Lord Piborne.
    »Wo ist Lady Piborne? fragte er.
    – In ihren Gemächern, antwortete der Kammerdiener.
    – Und der Graf Ashton?
    – Er lustwandelt im Parke.
    – Melde Ihrer Herrlichkeit der Lady Piborne meine Empfehlung und sage ihr, ich wünsche die Ehre zu haben, sie baldmöglichst zu sprechen.«
    John machte steif auf der Stelle Kehrt – ein stilgerechter Lakei hat sich im Dienste nicht zu verneigen – und verließ streng abgemessenen Schrittes das Cabinet, um die Befehle seines Herrn auszuführen.
    Seine Herrlichkeit Lord Piborne zählt fünfzig Jahre – fünfzig Jahre, die seiner mehrere hundert Jahre alten und von keinem Verstoß gegen die Ehre des Adels, von keiner Mißheirat befleckten Familie hinzuzurechnen waren. Ein hervorragendes Mitglied des englischen Oberhauses, bedauert er in gutem Glauben das Aufhören vieler alten Privilegien der Feudalzeit, die schöne Zeit der Lehen, Renten, der Allodialgüter und Domänen, der Macht persönlichen Gerichtsstandes, deren sich seine Ahnen erfreuten, und der tiefen Ehrerbietung, die diesen jeder Lehensmann ohne Zögern entgegen brachte. Alles, was nicht von einer, der seinigen ebenbürtigen Herkunft ist, was sich eines so alten Stammbaumes nicht rühmen kann, steht für ihn auf der Stufe des Bauers, des Bürgers, wenn nicht gar des Leibeignen oder Sclaven. Er ist Marquis, sein Sohn folglich Graf. Baronetts, Ritter und andre niedre Adelige haben seiner Auffassung nach kaum das Recht, in den Vorzimmern der wirklich vornehmen Welt zu erscheinen. Groß,

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