Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert
auf einer Tafel. Wir leben längst im globalen Dorf, in dem die Technik dafür sorgt, dass jeder alles von jedem weiß. Die sozialen Medien sorgen dafür, dass wir die Demonstrationen in Syrien in Echtzeit miterleben. Dass wir dabei sind, wenn die libyschen Rebellen auf Tripolis vorrücken, das in der Nacht vom 21. August 2011 eingenommen wird, und die Occupy-Wall-Street-Bewegung auf der Brooklyn Bridge demonstriert.
Die Revolution reist via Internet, vor allem unter Nutzung sozialer Netzwerke. In wenigen Monaten sind Tausende von Blogs entstanden, auf denen wir die Protestierenden begleiten können, wenn sie auf Straßen und Plätzen ihre Stimme erheben. Auf Twitter, einer überaus mächtigen »Buschtrommel«, verbreiten sich Nachrichten in Windeseile ums ganze Mittelmeer. Ein Netzwerk aus Telekommunikationsmitteln verbindet Griechen mit Syrern, Ägypter mit Portugiesen, Italiener mit Libyern. Im virtuellen Umfeld der sozialen Medien wird der Funke gehegt und gepflegt, die Brandgefahr steigt.
All dies spielt sich ab vor dem Hintergrund des finanziellen und wirtschaftlichen Zusammenbruchs des westlichen Kapitalismus. Die Vereinigten Staaten verlieren das Triple-A-Rating für ihre Staatsanleihen, die Märkte brechen ein, Gold und Schweizer Franken sind heißbegehrte Zuflucht. Italien muss seinen Haushalt korrigieren und die Neuverschuldung in den nächsten Jahren um weitere 47 Milliarden Euro kürzen. Auch Frankreichs Rating ist betroffen. Nun wird der Funke von der Euro-Krise weitergetragen, die zwar keine physische, dafür aber wirtschaftliche und psychologische Gewalt ausübt. Der Zerfall der Währungseinheit schreckt die Europäer, die davon ausgehen, dass dies die Rezession verschärfen würde. Und dass dadurch die Einigung eines Kontinents zumindest gebremst, wenn nicht gar verhindert würde, dessen Bürger im Lauf der Jahrhunderte viel Blut vergossen haben. Besonders ängstlich reagieren diesbezüglich die Mittelmeeranrainerstaaten, war der Euro doch für sie die Eintrittskarte zum Club der hochentwickelten und durchmodernisierten Länder Nordeuropas. Bedauerlicherweise ist die Clubzugehörigkeit ein Mythos, gestrickt von Politikern, die ebendiesen Ländern enorme Opfer abverlangten, damit sie überhaupt Aufnahme in die Währungsunion fanden. Der Euro-Beitritt hat nur die Eliten fett gemacht.
Wenn dieser Mythos heute verblasst, wenn trotzdem keine Gewalt vonnöten ist, dann verdanken wir das dem Internet, das uns Möglichkeiten an die Hand gab, der politischen Propaganda und Repression auszuweichen. Die sozialen Netzwerke strafen jede Propaganda Lügen, und die Clips, die im Internet verbreitet werden, sind eine mächtige Waffe im Krieg der Meinungen. Die Revolution, der wir beiwohnen, ist friedlich, weil sich zum ersten Mal in der Geschichte Bilder als wirksamer denn konventionelle Waffen erweisen. Das wissen auch die Politiker. Nicht umsonst fürchten sie nichts mehr als die Ausbreitung der Flammen.
Tot und begraben ist im Übrigen auch das Instrument der Ideologie, zusammen mit dem Kalten Krieg und den Verträgen von Bretton Woods auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet. Die alten Schemata, die alten Parolen interessieren niemanden mehr. Heute geht es nicht mehr um Polarisierung. Bin Laden oder Busch, Kommunismus oder Kapitalismus – diese Dichotomien gehören der Vergangenheit an, denn die Welt, die sie beschrieben, liegt mittlerweile in Trümmern. Auch der Internationale Währungsfonds musste sich dem anpassen: Zum ersten Mal bot er einem Land – Ägypten – ein Darlehen an, ohne ihm, wie bislang in solchen Fällen üblich, ein anachronistisches Finanzkorsett überzustülpen. Nur dass die Ägypter es ablehnten und meinten, sie würden das auch allein schaffen. Und wenn die Empörten es schaffen, dann werden die Bürger, die Europa vor der Schuldenkrise schützen wollen, auch den IWF loswerden. Im Moment allerdings sieht es noch nicht so aus. Ganz im Gegenteil. Im Juli 2011 beschlossen die europäischen Regierungschefs mit einem der Maßnahmenpakete zur Rettung Griechenlands die Einrichtung eines Europäischen Währungsfonds, den man früher als European Financial Stability Facility (EFSF) kannte. Ein Notfallgremium für defizitgefährdete Länder, das mit dem üblichen politischen Tamtam zum x-ten Organ der EU aufstieg.
Vergessen wir nicht, dass auf der Anklagebank auch der Markt selbst sitzt, der unzuverlässige, arrogante, unverschämte Markt, der bis vor kurzem bestimmte, wie die Stimmung im
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