Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert
Sprache und Territorium, die Elemente des klassischen Nationalismus, der den Kontinent bis vor zehn Jahren mit Blut befleckte, sind heute grenzübergreifend. Aus ebendiesem Grund kommen uns die Lokalbezüge, ohne die die aktuelle Politik nicht auszukommen scheint, so antiquiert vor wie Botschaften in einer toten Sprache. Die jungen Leute, die in Madrid an der Puerta del Sol schlafen, und diejenigen, die in Kairo auf die Straße gingen, gehören einer Nation an. Das gilt auch für jene, die in Damaskus von Kugeln durchbohrt werden, die auf dem Piazzale Aldo Moro campieren oder auf dem Parthenon.
In der postimperialen Gesellschaft des Mittelmeers ist die Gefahr groß, dass der Flächenbrand sich ausbreitet, eben weil die Menschen dieselben Wünsche haben. Bereiten wir uns also vor: auf den größten Brand aller Zeiten, der – wie damals in London – erst dann zum Erlöschen kommt, wenn er die ganze Stadt verzehrt hat. Um einer neuen Platz zu machen, die sauberer ist und Platz zum Leben lässt. Damit aus der Asche der alten Demokratie eine neue entsteht, die Demokratie der Zukunft.
2 Die Revolte gegen die Demokratie
Mitte Februar 2011 feiert die britische Wochenzeitung The Economist die arabische Revolution mit einem besonderen Titelblatt: Aus der Menge der Demonstranten reckt sich eine geballte Faust. Darunter steht: »The Awakening« – »Das Erwachen«. Obwohl er alle gleichermaßen überrascht hat, verfolgen die westlichen Medien den Volksaufstand in den Ländern der arabischen Welt mit größtem Interesse. Warum also taucht der Aufstand der Jugend in den Ländern der westlichen Welt, der nur wenige Monate später stattfindet, kaum in den Medien auf? Wo er doch gleichsam vor unserer Haustür stattfindet? Wie kommt es, dass die Medien das Phänomen der Indignados – der spanischen Demonstranten, welche die Ersten waren, die sich vom Funken der Revolution anstecken ließen – als Randerscheinung abtaten? Dass sie die Empörung der Menschen nur als folkloristische Episode behandelten, die keinerlei politische Wirkung haben würde? Dass man dieser Bewegung nicht die Kraft zutraute, den Status quo zu verändern?
Die Vorstellung, es könnte nördlich des Mittelmeers zu ähnlichen revolutionären Umtrieben kommen, die Italiener könnten beispielsweise Berlusconi vertreiben, wie die Ägypter es mit Mubarak gemacht hatten, schien offensichtlich absurd. Niemand glaubte, dass die Spanier Zapatero zwingen könnten, die Bedingungen abzulehnen, die der IWF dem Land zur Sanierung seiner Finanzlage auferlegen will. Oder dass Papandreou sich dagegen wehren könnte, dass Griechenlands Jugend die Schulden des Landes bei den internationalen Banken abzahlen soll. Oder dass Portugal aus dem Euro-Raum ausschert. Doch ebendies verlangt die Menge, die sich im Sommer 2011 auf Europas Straßen versammelt.
Noch unvorstellbarer ist die Idee, die Märkte könnten auch Spanien und Italien fallen lassen, die dritt- und viertgrößte Marktwirtschaft Europas. Denn beide gelten als »zu groß«, um mit Rettungspaketen konsolidiert zu werden. Doch bereits Mitte Juli 2011 kommt es zur ersten Attacke der Spekulanten gegen die beiden Länder. Die Vorstellung, diese könnten pleitegehen und den Euro mit sich in den Abgrund reißen, ist wie ein uraltes Tabu, das befolgt werden muss. Aus ebenjenem Grund wird auch kein Plan B formuliert, der für diese Eventualitäten so weit Vorsorge trifft, dass die Bevölkerung nicht darunter leidet.
So etwas gibt es in Europa nicht, heißt es immer wieder. Wir seien immun gegen jede Revolte, weil wir ja schließlich in einer Demokratie leben. Wir seien, so heißt es, immun gegen die Finanz-Apokalypse, der Argentinien und Island zum Opfer fielen, weil wir zur EU gehörten und den Euro hätten.
Ist das wirklich so?
Wer sich statt in Printmedien und im Fernsehen im Internet informiert, weiß, dass dem nicht so ist. Dort herrscht eine vollkommen andere Wirklichkeit. Demonstrationen, Studien- und Arbeitsgruppen, Videokonferenzen zwischen den Demonstrationsorten, Austausch von Videos auf Twitter. Was bedeutet das alles? Dass der Protest auf den Flügeln des Web 2.0 daherkommt. Dass er sich außerhalb des kybernetischen Raums manifestiert, um Schritt für Schritt alle politischen Strategien zu unterlaufen, die von Regierungen und internationalen Organisationen vertreten werden. Und im Gegenzug werden Alternativen präsentiert, wird konstruktiv Kritik geübt.
Anfang Juni beispielsweise nimmt die Buschtrommel
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