Der Flammenengel
Normalerweise hätte die Flammensäule von dem hier herrschenden Wind erfasst und zur Seite gedrückt werden müssen. Dies passierte nicht. Das Feuer stemmte sich gewissermaßen gegen den Wind an, bot ihm seinen eigenen Widerstand an und schaffte es auch. Mir kam die Lohe vor, als besäße sie die Form einer überdimensionalen Kerze. Mit Schleier, Rand und Kern, in dem ich ein unheimliches Gesicht entdeckte. Das war wieder Luzifer!
Trotz des Feuers wirkten seine Züge auch weiterhin so kalt, so hochmütig und menschenverachtend, dass ich regelrecht fröstelte. Noch etwas kam hinzu. Das Feuer verbreitete keine Hitze. Für mich ein Beweis, dass es keinen natürlichen Ursprung besaß. Die Flamme loderte und stand in der Luft, als würde sie einen unerschöpflichen Nachschub aus den Tiefen der Erde bekommen, aber den Erzengel Uriel hatte ich noch immer nicht gesehen. Und auch nicht meine Freunde. Siedendheiß fiel mir ein, dass ich sie nach dem Verlassen der Hütte noch nicht gesehen hatte. Sie mussten, da sie sich kaum ins Wasser trauen würden, irgendeinen Platz auf der Insel entdeckt haben, wo sie sich verborgen hielten. Es fiel mir nicht leicht, aber um die Freunde zu suchen, musste ich der Flammensäule den Rücken zuwenden. Dann bahnte ich mir einen Weg durch das dichte Buschwerk, verließ die Lichtung mit der Hütte und sah Suko, Sheila und Bill etwa auf der Inselmitte stehen. Sofort stoppte ich, denn die drei waren nicht allein. Zwei dunkle, sich in der Finsternis kaum abhebende Wesen hielten sie umkreist. Die Feuerleichen!
***
Der Einsatzwagen hatte seinen Standort verlassen müssen, weil die Flammen zu einem wahren Feuerorkan geworden waren, der mit elementarer Wucht über die Anlagen hinwegbrauste, zugleich in sie hineinloderte und die ersten Lagerhallen bereits in Brand gesteckt hatte, so dass sie wie riesige Fackeln wirkten.
Der Hafen geriet in eine nie da gewesene Gefahr. Und das Feuer war auch nicht zu stoppen, sosehr sich die Männer und Spezialisten auch bemühten. Sie taten alles. Sämtliche Löschwagen spritzten in dicken Strahlen Wasser und chemische Feuerlöschmittel in die tosenden Flammenherde hinein, ohne sie allerdings ausblasen zu können. Zwischen dem hell lodernden und in den Himmel hineinstoßenden Feuer waren dichte, schwarze, fette Rauchwolken zu sehen, die träge ihren Weg zogen und sich flacher als die Flammen über dem Hafengebiet ausbreiteten, so dass zahlreiche Feuerwehrleute gezwungen waren, die Gasmasken aufzusetzen, damit sie Luft holen konnten. Der Einsatzwagen stand jetzt dort, wo sich Bahngleise kreuzten. In jeder Minute liefen neue Funk-und Telefonmeldungen ein, die von den Männern weitergeleitet wurden. Die Chefs reagierten entsprechend, gaben ihre Anweisungen, die nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein waren.
Sir James Powell hatte den Wagen verlassen und stand vor der geöffneten Hintertür. Sein Blick war starr gegen die über dem Hafen tobende Flammenwand gerichtet. Welche Gedanken sich hinter seiner Stirn abspielten, war ihm nicht anzusehen. Das Gesicht blieb glatt und ausdruckslos, nur rötlich angestrahlt vom Widerschein des gewaltigen Feuers.
Inzwischen hatte man reagiert und die Army eingesetzt. Die Soldaten halfen zwar nur bedingt mit ihren eigenen Geräten beim Versuch der Löscharbeiten mit, ansonsten waren sie damit beschäftigt, Lagerräume von hochexplosiven Stoffen zu leeren. Das klappte auch einigermaßen, aber die beiden großen Tanks, deren Umrisse Sir James in der Ferne bereits erkannte, die konnten nicht weggeräumt werden. Und sie bildeten die erste große Gefahr.
Man hatte das bereits erkannt und sie an den Außenwänden mit einer Schutzschicht übersprüht. Aber würde das gegen ein magisches Feuer helfen? Wohl kaum.
Der Meinung war auch der Oberbrandmeister oder Chef der Feuerwehr, als er zu Sir James kam.
»Es ist uns nicht einmal gelungen, einen einzigen Flammenherd zu löschen. Verdammt, ich verstehe das nicht. Wissen Sie, was wir hier könnten, Sir? Alles zusammenpacken und flüchten. Dabei sollten wir sicherheitshalber die Stadt evakuieren, mehr kann ich nicht tun.«
»Ich weiß.«
Der Mann neben Sir James lachte bitter auf. »Und das sagen Sie so einfach?«
»Soll ich mich wegen dieser Tatsache vielleicht selbst in die Flammen werfen?«
»Es wäre besser, dann brauchte man das Elend nicht mehr mit anzusehen.« Der Feuerwehrchef wischte über sein rauchdunkles Gesicht. »Sie stehen hier noch gut, Sir James. Haben
Weitere Kostenlose Bücher