Der Flammenengel
und brachten durch ihre heiße Kraft das Glas in Sekundenschnelle zum Schmelzen. Da sie von allen Seiten herbeigekommen waren, gelang es den Menschen nicht, ihnen zu entgehen. Auch dort, wo sich die Ausgänge befanden, glitt das Feuermeer hin und versperrte den Weg. Es war furchtbar.
Die Schreie der Eingeschlossenen übertönten das Knattern und Fauchen der Lohen. Wind blies durch das offene Dach in die Feuermasse und entfachte sie noch stärker. Und sie fanden ihre Ziele. Tanzende, zuckende Arme schleuderten die brennende Kleidung der Gäste in die Höhe.
Auch auf Lewis Coleman huschte das Feuer zu. Er konnte ihm nicht entgehen. Still lag er auf dem Boden, spürte die Hitze und hatte das Gefühl, mitten in der Hölle zu stecken. Dann wusste er nichts mehr, denn alles um ihn herum zerlief zu roten, gierigen Kreisen. Vorbei… Und die Partygäste flohen. Sie rannten durch die zerstörten Scheiben hinein in den Garten, wälzten sich dort auf dem Boden und versuchten verzweifelt, ihre brennende Kleidung zu löschen. Niemand war da, der auf seinen Nachbarn achtete, und niemand sah die gewaltige Gestalt, die innerhalb des Feuers erschien, ein brennendes Schwert schwang und grell lachte.
Nur ein Mann, der das Ende des Grundstücks schon erreicht hatte, drehte sich um. Es war Darryl! Er schaute in die Feuerwand, sah die hochfliegenden Funken, hörte den Explosionsknall und schüttelte den Kopf. Dann sah er die riesige, von Feuerzungen umtanzte Gestalt. Für die Dauer weniger Sekunden blieb er stehen und rannte danach ebenfalls in wilder Panik davon…
***
Dieser Montagmorgen gefiel mir überhaupt nicht. Schon beim Aufstehen hatte ich das Gefühl, Blei in den Knochen zu haben. Ich bekam die Beine kaum in die Höhe, blieb neben dem Bett stehen und fuhr mir mit allen zehn Fingern durchs Gesicht.
Mir fiel ein, dass ich schlecht geschlafen hatte. Erst weit nach Mitternacht war ich in den tiefen Schlummer gefallen und fühlte mich jetzt wie gerädert.
Dabei hatte ich am Abend zuvor nicht einmal einen Whisky getrunken, sondern den Sonntag allmählich ausklingen lassen. Einen Grund für meine Mattheit gab es also nicht, wenigstens keinen für mich erkennbaren. Vielleicht lag es auch am Wetter, denn als ich aus dem Schlafzimmerfenster in die Dunkelheit schaute, sah ich die langen Tropfen an der Außenhaut der Scheibe. Sie sahen aus wie helle, dünne Finger, und im Licht der Laternen entdeckte ich das helle Glitzern. Das war nicht allein Regen, sondern auch Schnee. Widerlich und nasskalt.
Das hatte mir an diesem Montag noch zu meinem Glück gefehlt. Ich schlich wie ein lustloser Penner in Richtung Dusche, streifte den Schlafanzug ab und legte auch das Kreuz zur Seite, bevor ich die Dusche anstellte. Sekunden später jagten die Strahlen hart und kalt auf meinen Körper, und es ging mir langsam wieder besser. Das Blei verschwand aus den Knochen, auch meine Müdigkeit wurde weggespült. Während ich mich abtrocknete, dachte ich ans Büro. Wahrscheinlich wartete am Vormittag Aktenarbeit auf meinen Freund Suko und mich. Nachmittags mussten wir uns dann einen Vortrag anhören. Ein Dozent wollte über moderne Methoden der Verbrechensbekämpfung reden. Möglicherweise konnte ich da den verlorenen Schlaf nachholen. Ich zog frische Unterwäsche an, nahm mein Kreuz, wollte es umhängen und warf zuvor einen Blick darauf.
Im ersten Augenblick glaubte ich an eine Täuschung. Wie vom Donner gerührt, stand ich auf den Fliesen und schüttelte den Kopf. Mit der freien Hand wischte ich mir einige Wassertropfen aus den Augen, da ich immer noch glaubte, mich vertan zu haben.
Nein, es war kein Irrtum. Das Kreuz hatte sich verändert. Nicht in der Form, sondern was die Zeichen anbetraf. Seit einiger Zeit waren zudem die Symbole verschwunden, die ich noch nicht enträtselt hatte, jetzt aber war das U verschwunden.
Es hatte sich genau dort befunden, wo das Kreuz in seiner senkrechten Achse auslief. An dem rechten Balken stand das R für Raffael, direkt gegenüber das G für Gabriel und an der oberen Spitze des Kreuzes das M für Michael.
So hatte es sein sollen. Jetzt fehlte das U, und ich starrte mein Kreuz an, als sähe ich es zum erstenmal.
Tief holte ich Luft und schüttelte dabei den Kopf. Ich versuchte an etwas anderes zu denken, nicht einmal das gelang mir, so legte ich das Kreuz auf einen kleinen Hocker und stieg in meine Kleidung. Auf eine Krawatte verzichtete ich und zog statt dessen meinen neuen gelben Pullover an. Danach nahm ich
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