Der Flammenengel
meine Gedanken waren ganz woanders.
Ich hatte Angst. Es war ein Gefühl, wie ich es kaum kannte. So schleichend und ungewöhnlich bedrückend. In der letzten Zeit häuften sich die Vorfälle, die sich negativ auf die Kraft meines Kreuzes auswirkten. Die Hölle war dabei, gegenzusteuern. Sie wollte meine stärkste Waffe vernichten, und das hatte Lilith bereits mit ihrem ersten Angriff, damals in dem halbfertigen Neubau, angekündigt. Da hatte ich ihn abschmettern können, doch jetzt musste es ihr gelungen sein, auch an den Grundfesten des Kreuzes zu rütteln, da der Buchstabe des Erzengels Uriel verschwunden war.
Vier Erzengel hatten ihre Insignien hinterlassen, seit heute waren es nur noch drei. Konnten sie noch widerstehen?
Ich bekam von dem überaus dichten Londoner Cityverkehr kaum etwas mit, weil meine Gedanken auf Wanderschaft gegangen waren. Zudem kamen wir nur langsam voran, selbst Suko stöhnte hin und wieder auf. Zudem klatschte nasser Schneeregen gegen die Karosserie und hinterließ auch seine Spuren auf den Scheiben. Monoton arbeiteten die Wischer, zwischen den einzelnen Fahrzeugen standen hellgrau und wolkig die Auspuffgase.
Fast eine halbe Stunde Verspätung hatten wir, als Suko den Wagen auf dem Parkplatz abstellte. »Wenn sie uns jetzt mit Mahlzeit begrüßen, dürfen wir uns nicht wundern«, meinte mein Freund. Ich winkte nur ab. Im Schneeregen liefen wir die paar Schritte bis zum Hintereingang und ließen uns mit dem Lift in die Höhe schießen. Als ich die Bürotür zum Vorzimmer aufstieß, saß Glenda da und machte ein sehr ernstes Gesicht.
»Was ist los?« fragte Suko.
»Sir James wartet auf euch.«
»Wo?« fragte ich und zog den Reißverschluss meiner Lederjacke nach unten.
Glenda Perkins deutete auf unsere Bürotür. »Da hockt er und lauert wie eine Schlange auf das Kaninchen.«
»Gibt es einen Grund?« fragte ich.
Glenda hob die Schultern und zog die Mundwinkel nach unten. »Weiß ich nicht. Mit der Verspätung scheint es wohl nicht unbedingt zusammenzuhängen.«
»Das wäre ja noch schöner«, erwiderte ich und öffnete die Tür zu unserem gemeinsamen Office. Sir James hatte es vernommen. Auf meinem Stuhl drehte er sich um, schaute Suko und mich durch die dicken Brillengläser scharf an und schielte auf seine Armbanduhr.
»Guten Morgen«, sagten Suko und ich.
»Meinetwegen auch Mahlzeit«, brummte Sir James.
»Sollen wir Urlaub nehmen?«
»Reden Sie keinen Unsinn, John, setzen Sie sich.«
Ich nahm den Besucherstuhl, während Suko hinter seinem Schreibtisch Platz nahm. Erwartungsvoll schauten wir unseren Chef an, der nicht nur schlechte Laune mitgebracht hatte, sondern auch einen Stapel Zeitungen. Die meisten waren schon so aufgeschlagen und so gefaltet, dass wir die Artikel sofort lesen konnten.
»Gestern und am Samstag sind die Dinge passiert«, erklärte uns Superintendent Sir James Powell. »Lesen Sie die Berichte und sagen Sie mir dann Ihre Meinung.«
Das taten wir. Ich überflog die Berichte nur, Suko ebenfalls, und danach legten wir die Gazetten zur Seite.
»Nun?« fragte unser Chef.
»Da hat es gebrannt«, erklärte ich.
»Ach, wirklich?« Die Stimme unseres Chefs troff vor Spott. »So schlau bin ich auch. Es hat aus heiterem Himmel gebrannt. Wenigstens auf dieser Party. Das Feuer ist vom Himmel gekommen, und beim ersten Brand auf dem jüdischen Friedhof ist der Sarg des Toten explodiert und hat den Flammensturm entlassen. Finden Sie das vielleicht natürlich?«
»Nein«, gaben Suko und ich zu. »Natürlich ist das nicht.«
»Eben.«
»Wobei ich mich frage«, fuhr Suko fort, »ob die Zeugen sich nicht geirrt haben.«
»Nein, das glaube ich nicht. Zunächst einmal die Bilanz. Bei dem Brand in der Leichenhalle hat es zum Glück nur einen Toten gegeben, andere sind verletzt worden. Die Party endete schrecklich. Vier Tote insgesamt. Unter anderem die beiden Gastgeber. Sollte für das plötzliche Feuer keine natürliche Erklärung gefunden werden, sind wir aufgerufen, der Sache so schnell wie möglich nachzugehen.«
»Was sagen die Techniker?« fragte Suko.
»Sie stehen vor einem Rätsel. Es sind die besten Spezialisten angefordert worden, man hat die Brandstellen untersucht, Quadratzoll für Quadratzoll, aber man hat nichts gefunden, was auf eine Brandstiftung hingewiesen hätte.«
»Bei beiden nicht?« fragte ich.
»So ist es.«
Glenda Perkins betrat das Büro, brachte zwei Tassen Kaffee und ein Glas mit Magenwasser für Sir James. Über den Kaffee freute ich
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