Der Flammenengel
das Kreuz wieder an mich. Noch immer fehlte das U. Ich verzog die Lippen. Es wurde kein Lächeln, sondern mehr ein grimassenhafter Ausdruck. Mit allem hatte ich gerechnet, nicht mit dieser so schrecklichen Tatsache.
Wie konnte es möglich sein? Darüber zerbrach ich mir den Kopf, als ich in die kleine Küche ging und die Kaffeemaschine einstellte. Das Kreuz hatte ich daneben gelegt und holte eine Lupe, um die bestimmte Stelle genau anzuschauen.
Nichts war zurückgeblieben. Kein Abdruck, ich schaute auf die völlig glatte Fläche des Kreuzes und konnte nichts mehr tun, als ratlos die Schultern heben.
Als der Kaffee fertig war, legte ich die Lupe zur Seite. Hunger verspürte ich keinen mehr.
Weshalb hatte sich das Kreuz verändert? Was steckte hinter allem? Welche Gefahr braute sich über meinem Kopf zusammen, von der ich bisher noch nichts wusste?
Es war schon ein bedrückendes Gefühl, sich mit diesen Gedanken herumschlagen zu müssen, und es war nicht das erste Mal, dass ich auf eine magische Art und Weise gewarnt worden war. Falls ich es als Warnung auffasste, musste das Kreuz bereits etwas von dem verspürt haben, was sich zusammen braute. Nur ich war ahnungslos. Hing es mit Lilith, der Großen Mutter, zusammen? Seit kurzer Zeit hatte sich diese vorbiblische Figur wie ein Phönix aus der Asche erhoben, um Asmodis oder Luzifer zur Seite zu stehen. Und sie hatte mir auch schon die Machtlosigkeit meines Kreuzes bewiesen, als es ihr gelungen war, dieses wertvolle Kleinod zu manipulieren.
Langsam trank ich den Kaffee. Er war viel zu heiß, ich merkte es kaum und hatte nur Augen für das Kreuz. Als ich die Tasse zur Seite stellte, zündete ich mir eine Zigarette an. Den Rauch blies ich gegen die Decke, wo er sich zu dicken Wolken verteilte.
Dann verließ ich die Küche. Ein Blick auf die Uhr bewies mir, dass es Zeit wurde, ins Büro zu fahren. Wahrscheinlich würde ich schon zu spät kommen, und ich hörte auch das beinahe aggressive Klingeln an, meiner Wohnungstür.
Das war Suko. Als ich geöffnet hatte, überschüttete er mich bereits mit Vorwürfen. »Bist du gestern Abend versackt, oder weshalb siehst du noch so müde aus?« fragte er vorwurfsvoll.
»Komm rein!«
»Jetzt noch?«
»Ja, komm schon.«
Suko hatte an meiner Stimme festgestellt, dass etwas nicht stimmte. Ich schloss hinter ihm die Tür und holte das Kreuz aus meiner Hosentasche hervor. »Was soll das denn?« fragte mich mein Partner.
»Sieh es dir an.« Suko schaute genau hin, runzelte die Stirn und blickte mir ins Gesicht. »Verdammt, da fehlt ja etwas.«
»Genau, mein Lieber. Es ist das U.«
»Und?« Er hob die Schultern. »Hast du eine Erklärung für dieses Phänomen?«
»Die habe ich eben nicht«, erwiderte ich. »Aus diesem Grunde bin ich so durcheinander. Ich sage dir, Partner, da braut sich etwas zusammen. Und zwar was verdammt Heißes.«
Suko lehnte mit dem Rücken an der Wand. »Eine Spur oder eine Idee hast du nicht zufällig?«
»Nein.«
»Was willst du dann machen?«
Ich hob die Schultern. »Gar nichts, wie man so schön sagt. Ich lasse alles auf mich zukommen.«
»Das ist nicht viel.«
Mein Grinsen fiel schief aus. »Hast du denn eine Idee?«
»Auch nicht.«
»Okay, dann fahren wir ins Büro. Nur mit dem einen Unterschied. Du setzt dich ans Steuer.«
Mein Freund war einverstanden. Wir verließen gemeinsam die Wohnung und rauschten mit dem Lift in Richtung Tiefgarage. Worte verschwendeten wir keine. Ein jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Nur Suko warf mir hin und wieder einen fragenden Blick zu, dem ich allerdings auswich.
Obwohl eigentlich nichts passiert war, konnte ich diesen Montagmorgen als schlimm bezeichnen. Ich war nicht angegriffen worden, ich hatte auch keine seelischen Attacke verspürt, nur eben mein Kreuz war nicht mehr so wie am Abend zuvor. Und das machte mich fertig. Über das Dach des Wagens hinweg schaute ich Suko an, der bereits seine Bentleyschlüssel in der Hand hielt und öffnete. »Du willst wirklich nicht fahren?« fragte er.
»Nein.«
»Okay.« Er klemmte sich hinter das Lenkrad, während ich mich auf den Beifahrersitz platzierte.
Suko startete. Der Motor war kalt. Die Abgaswolke stand hinter uns für einen Moment träge in der Luft. An der Rampe mussten wir warten, weil mehrere Wagen den unterirdischen Komplex verließen. Rechts und links wuchsen die grauen Betonwände hoch wie bei einem Tunnel. Ich starrte durch die Scheibe, ohne meinen Vordermann eigentlich richtig zu sehen, denn
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