Der Fledermausmann
liefen.
»Feiern Sie auch den Australian Day?« fragte eine andere Stimme, eine Männerstimme, in einer bekannten Sprache.
Harry drehte sich um. Ein Pärchen stand hinter ihm und schaute ihn aufmunternd an. Er gab seinen Mundwinkeln den Befehl, das Lächeln zu erwidern, aber er konnte nur hoffen, daß sie ihm gehorchten. Eine gewisse Straffung seines Gesichtes deutete aber darauf hin, daß er die Herrschaft über gewisse Körperfunktionen noch nicht verloren hatte. Andere hatte er aufgeben müssen. Sein Unterbewußtsein hatte nämlich rebelliert, und gerade jetzt lief der Kampf um seine Sinneswahrnehmungen und sein Gehör. Sein Gehirn arbeitete auf vollen Touren, um herauszufinden, was gerade geschah. Das war aber nicht einfach, denn es wurde ununterbrochen von den merkwürdigsten, ja zum Teil absurdesten Informationen bombardiert.
»Wir sind übrigens Dänen. Ich heiße Poul, und das hier ist meine Frau Gina.«
»Warum glaubt ihr, daß ich Schwede bin?« hörte Harry sich fragen.
Das dänische Pärchen blickte sich an.
»Sie haben Selbstgespräche geführt, Mann, haben Sie das nicht gemerkt? Sie haben ferngesehen und sich gefragt, ob Alice wohl durch den ganzen Erdball stürzen würde. Und das ist sie ja, ha-ha!«
»Ach ja, das«, sagte Harry und hatte keine Ahnung, wovon sie redeten.
»Das ist nicht so wie unsere Mittsommernacht, nicht wahr? Das hier ist doch zum Lachen. Man kann hören, daß ein Feuerwerkabgebrannt wird, aber bei all dem Nebel kann man ja überhaupt nichts sehen. Wahrscheinlich haben ein paar der Raketen den Wolkenkratzer dort oben in Brand gesetzt. Ha-ha! Riechen Sie den Pulvergeruch? Es ist die Feuchtigkeit, die dazu führt, daß er so am Boden klebt. Machen Sie hier auch Urlaub?«
Harry dachte nach. Er mußte sehr gründlich nachgedacht haben, denn als er seine Antwort parat hatte, waren die Dänen verschwunden.
Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Fernsehbildschirme im Schaufenster. Brennende Hügel auf einem, Tennis auf einem anderen Bildschirm. Das waren die jährlichen Attraktionen in Melbourne: Waldbrand und Australian Open, ein weißgekleideter Teenager wurde Millionär, während ein paar Kilometer weiter noch eine Familie obdachlos wurde. Auf einem anderen Bildschirm sah er Gro Harlem Brundtland, verfolgt von norwegischen Fischerbooten und blauschwarzen Walkörpern, die durch das Meer pflügten. Und als wenn das noch nicht genug gewesen wäre, sah er auf einem vierten Bildschirm die norwegische Fußballmannschaft in einem Spiel gegen eine Mannschaft mit weißen Trikots. Es dämmerte Harry, daß er im Sydney Morning Herald etwas über ein Turnier zwischen Australien, Neuseeland und Norwegen gelesen hatte. Plötzlich kam eine Großaufnahme von Erik »Myggen« Mykland, und Harry lachte laut auf.
»Bist du auch hier, Myggen?« flüsterte er der kalten Glasscheibe zu. »Oder habe ich bloß Halluzinationen? Was hältst du von ein bißchen Acid, Myggen?«
»Spinnst Du? Ich bin doch ein Vorbild für die Jugend«, antwortete Myggen.
»Hendrix tut das. Bj ø rneboe tut das. Harry Hole tut das. Acid macht dich klar im Kopf, Myggen. Mehr als klar. Das hilft dir, Zusammenhänge zu sehen, die es gar nicht...« Harry lachte.
Myggen verlor ein Tackling .
»Du kannst sogar durch eine Glasscheibe mit einem Fernseher reden und eine Antwort bekommen. Kennst du Rod Stewart? Der hat mir dieses kleine Papierstückchen spendiert, und jetzt bekommt mein Hirn gleichzeitig sechs Fernsehprogramme, zwei Dänen und eine Band mit. Das Zeug sollte wirklich schon längst legalisiert sein. Was meinst du, Myggen?«
In einer Nachrichtensendung wurden Bilder von Windsurfern, einer weinenden Frau und Reste eines gelben Neoprenanzugs mit großen Bißmarken gezeigt.
»Das da war das Seeungeheuer. Es hat im Aquarium frei bekommen und einen Ausflug gemacht, Myggen, Picknick im Grünen! Ha-ha.«
Auf dem Fernsehgerät daneben flatterte das orangene Absperrband der Polizei an einem Waldrand im Wind, während uniformierte Polizisten mit Säcken hin- und herrannten. Dann erschien ein großes, blasses Gesicht auf der Mattscheibe. Es war ein schlechtes Foto eines blonden, nicht gerade hübschen Mädchens. Ihre Augen hatten einen tristen Ausdruck, als sei sie traurig darüber, nicht hübscher zu sein.
»Schön«, sagte Harry, »das ist schon eine merkwürdige Sache, wußtest du das . . .«
Lebie ging hinter dem Polizisten, der interviewt wurde, durch das Bild.
»Scheiße«, brüllte Harry. »Scheiße noch
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