Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fledermausmann

Der Fledermausmann

Titel: Der Fledermausmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
war, die noch vor gar nicht allzu langer Zeit in einem komaartigen Zustand, der unmöglich zu durchbrechen gewesen war, draußen auf der Bank gelegen hatte.
    »Ich konnte es gestern fast nicht glauben«, sagte Joseph. »Daß du die gleiche Person warst, die noch vor ein paar Tagen so nüchtern und aufrecht dagesessen und Zigaretten verteilt hat.«
    »Touché«, erwiderte Harry.
     
    Joseph verschwand nach draußen und kam mit einer Portion Pommes frites und einem Becher Cola wieder. Er schaute zu, während Harry das einfache, aber verblüffend effektive Frühstück vorsichtig zu sich nahm.
    »Der Vorläufer von Coca-Cola wurde von einem amerikanischen Apotheker erfunden, der ein Mittel gegen Kater herstellen wollte«, erzählte Joseph. »Aber er glaubte, einen Fehler gemacht zu haben, und verkaufte das Rezept für acht Dollar. Wenn du mich fragst, es gibt noch immer nichts Besseres.«
    »Jim Beam«, sagte Harry mit vollem Mund.
    »Ja, abgesehen von Jim Beam. Und Jack und Johnny und ein paar anderen Kerlen. Hä-hä. Wie fühlst du dich?«
    »Besser.«
    Joseph stellte zwei Flaschen auf den Tisch. »Der billigsteRotwein aus dem Hunter Valley«, sagte er. »Trinkst du ein Glas mit, Bleichgesicht?«
    »Danke vielmals, Joseph, aber Rotwein ist nicht gerade mein Ding . . . Hast du nicht etwas anderes? Etwas Braunes, zum Beispiel?«
    »Glaubst du, ich hab ein ganzes Lager hier?«
    Joseph schien ein bißchen beleidigt darüber zu sein, daß sein großzügiges Angebot abgelehnt worden war.
    Harry richtete sich schwerfällig auf. Er versuchte, das Loch in seinem Gedächtnis aufzufüllen, das zwischen dem Moment klaffte, in dem er Rod Stewart mit der Waffe bedroht hatte und einem späteren Zeitpunkt, wo sie sich buchstäblich in den Armen gelegen und ein bißchen Acid geteilt hatten. Es gelang ihm nicht, sich daran zu erinnern, was zu so viel Freude und gegenseitiger Sympathie geführt haben konnte, abgesehen natürlich von dem, was offensichtlich war – Jim Beam. Hingegen erinnerte er sich daran, den Türsteher des Albury geschlagen zu haben.
    »Harry Hole, du bist ein pathetischer Säufer«, murmelte er.
    Sie gingen hinaus und setzten sich in das Gras draußen vor der Laube. Die Sonne stach in den Augen, und der Alkohol vom Vortag brannte auf der Haut, aber abgesehen davon ging es gar nicht so schlecht. Eine leichte Brise wehte, und sie legten sich auf den Rücken und betrachteten die weißen Wolken, die langsam am Himmel entlangglitten.
    »Heute ist das richtige Wetter zum Springen«, sagte Joseph.
    »Ich habe nicht vor zu springen«, sagte Harry. »Ich werde ganz ruhig sitzenbleiben oder mich nur ganz langsam bewegen.«
    Joseph blinzelte bei all dem Licht. »Ich habe nicht an das Springen gedacht, ich dachte daran, vom Himmel zu springen. Skydiving – Fallschirmspringen.«
    »Was! Bist du Fallschirmspringer?«
    Joseph nickte.
    Harry hielt sich die Hand über die Augen und blickte zum Himmel hoch. »Und was ist mit den Wolken da oben? Sind die nicht im Weg?«
    »Kein Problem. Das sind Zirruswolken, Federwolken. Die liegen mehr als 15 000 Fuß hoch.«
    »Du überraschst mich, Joseph. Nicht daß ich nicht wüßte, wie ein Fallschirmspringer aussieht, aber ich habe mir nicht vorgestellt, daß er . . .«
    »Alki ist?«
    »Zum Beispiel.«
    »Hä-hä. Das sind zwei Seiten der gleichen Medaille.« »Wie meinst du das?«
    »Warst du jemals alleine in der Luft, Harry? Bist du jemals geflogen? Bist du mal aus großer Höhe abgesprungen und hast gespürt, daß die Luft versucht, dich oben zu halten, dich aufzufangen und deinen Körper zu streicheln?«
    Joseph hatte bereits einen guten Teil der ersten Weinflasche in sich, und seine Stimme hatte einen wärmeren Klang bekommen. Mit glühenden Augen erzählte er Harry von der Schönheit des freien Falls:
    »Das öffnet dir die Sinne. Dein ganzer Körper schreit, daß er nicht fliegen kann. ›Ich hab doch keine Flügel‹, schreit er dir zu und versucht lauter zu sein als das Rauschen der Luft, die an deinen Ohren vorbeizischt. Dein Körper ist überzeugt davon, sterben zu müssen, und schlägt Alarm – er öffnet alle Sinne so weit es nur geht, um doch irgendwo einen Ausweg zu finden. Dein Gehirn wird zu dem größten Computer, den es auf der Welt gibt, es registriert alles; deine Haut spürt, wie die Temperatur steigt, je tiefer du fällst, deine Ohren spüren den zunehmenden Druck, und du erkennst jede Furche, jede Farbveränderung in der Karte unter dir. Ja, du kannst den Planeten

Weitere Kostenlose Bücher