Der Fledermausmann
Zeigefinger auf die Brust.
»Du!« wiederholte Ivan und tippte etwas fester. Der blonde Polizist schwankte bedrohlich.
»Du!«
Harry blieb auf den Hacken stehen und ruderte mit den Armen. Er hatte sich nicht umgedreht, um zu wissen, was sich hinter ihm befand, aber das schien er bereits zu wissen. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als sein benebelter Blick Ivans Augen begegnete. Er kippte nach hinten und stöhnte auf, als sein Rücken und sein Nacken die ersten Stufen trafen. Auf dem restlichen Weg nach unten gab er nicht einen Laut von sich.
Joe hörte, daß jemand an der Eingangstür herumfummelte, und als er durch das Glas die zusammengekrümmte Gestalt des neuen Gastes erkannte, wußte er, daß er einen seiner seltenen Fehler begangen hatte. Als er die Tür öffnete, fiel ihm der Mann entgegen. Hätte Joe nicht einen so tiefen Schwerpunkt gehabt, wären die beiden vermutlich nach hinten auf den Boden gestürzt. Es gelang Joe, den Arm des Gastes um seine eigene Schulter zu legen und ihn zu einem Stuhl hinter der Rezeption zu führen, wo er ihn genauer in Augenschein nehmen konnte. Nicht, daß der blonde Säufer ein besonders hübscher Anblick gewesen wäre, als er eingecheckt hatte – aber jetzt nahm er sich wirklich übel aus. An einem Ellbogen hatte er eine große Schürfwunde, so daß das nackte Fleisch weißlich-rot zum Vorschein kam, die eine Wange war angeschwollen, und aus seiner Nase troff Blut auf seine schmutzige Hose. Sein Hemd war zerrissen, und es rasselte beängstigend, wenn er atmete. Aber er tat es wenigstens noch – atmen.
»Was ist passiert?« fragte Joe.
»Eine Treppe, ich bin gefallen, is nix passiert, ich muß mich nur ein bißchen hinlegen.«
Joe war kein Arzt, aber ausgehend von den rasselnden Geräuschen beim Atmen glaubte er, daß ein oder zwei Rippen gebrochen sein mußten. Er suchte eine antiseptische Salbe und Pflaster heraus, flickte seinen Gast notdürftig zusammen und schob ihm schließlich einen Wattebausch in sein blutverschmiertes Nasenloch. Der Gast schüttelte nur den Kopf, als Joe ihm zu guter Letzt eine Schmerztablette geben wollte.
»Painkilling stuff in my room«, sagte er.
»Sie brauchen einen Arzt«, sagte Joe. »Ich werde . . .« »Kein Arzt. In ein paar Stunden bin ich wieder in Ordnung.«
»Ihr Atem hört sich nicht gut an.«
»War immer so. Asthma. Lassen Sie mir einfach zwei Stunden Ruhe, dann verschwinde ich.«
Joe seufzte. Er wußte, daß er im Begriff war, Fehler Nummer zwei zu begehen.
»Vergessen Sie's«, sagte er. »Sie brauchen mehr als nur ein paar Stunden. Außerdem ist es ja nicht Ihr Fehler, daß die Treppen hier in Sydney so verdammt steil sind. Ich schau morgen früh mal nach Ihnen.«
Er half dem Gast auf sein Zimmer, brachte ihn ins Bett und zog ihm die Schuhe aus. Auf dem Tisch standen drei leere und zwei noch ungeöffnete Flaschen Jim Beam. Joe war Antialkoholiker, aber er war alt genug, um zu wissen, daß man mit Trinkern reden konnte. Er öffnete eine der Flaschen und stellte sie auf das Nachttischchen. Der Kerl würde es ohnehin schwer genug haben, wenn er aufwachte.
»Crystal Castle. Hallo.«
»Guten Tag, kann ich bitte mit Margaret Dawson sprechen?«
»Speaking.«
»Ich kann Ihrem Sohn helfen, wenn Sie mir sagen, daß er der Mörder von Inger Holter ist.«
»Was bitte? Mit wem spreche ich?«
»Mit einem Freund. Sie sollten mir vertrauen, Mrs. Dawson, denn sonst ist Ihr Sohn verloren. Verstehen Sie? Hat er Inger Hoher getötet?«
»Was soll das? Machen Sie Witze? Wer ist diese Inger Holter?«
»Sie sind Evans Mutter, Mrs. Dawson. Auch Inger Holter hatte eine Mutter. Sie und ich sind die einzigen, die ihrem Sohn helfen können. Geben Sie zu, daß er Inger Holter getötet hat! Hören Sie auf mich!«
»Ich höre doch, daß Sie getrunken haben. Ich rufe jetzt die Polizei an.«
»Ach ja?«
»Ich lege jetzt auf.«
»Ach j . . . – Dumme Fotze!«
Alex Tomaros verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und lehnte sich in seinem Stuhl nach hinten, als Birgitta das Büro betrat.
»Setz dich hin, Birgitta.«
Sie setzte sich auf den Stuhl, der vor Tomaros' bescheidenem Schreibtisch stand, und Alex nutzte die Gelegenheit, sie einmal genauer anzuschauen. Sie sah müde aus, hatte schwarze Ringe unter den Augen, machte einen unglücklichen Eindruck und war noch blasser als sonst.
»Ich bin vor ein paar Tagen von einem Polizisten verhört worden, Birgitta. Einem gewissen Mr. Holy, einem Ausländer. Aus dem
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