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Der Fledermausmann

Der Fledermausmann

Titel: Der Fledermausmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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mit einem Lächeln, sich ein zeitiges Frühstück zu bestellen. Während er Speck und Toast aß, wurde seine Serviette fast von einer vorwitzigen Morgenbrise davongeweht.
     
    »Sie sind früh dran, Holy«, sagte McCormack. »Das ist gut, das Gehirn arbeitet zwischen halb sieben und elf Uhr am besten. Wenn Sie mich fragen – danach ist das meiste nur nochSchrott. Außerdem ist es hier morgens noch richtig still. Wenn es nach neun so richtig losgeht, kann ich kaum noch zwei und zwei zusammenzählen. Können Sie das? Mein Sohn behauptet immer, er müsse die Stereoanlage laufen lassen, wenn er lernt, die Stille würde ihn sonst so schrecklich ablenken. Verrückt, was?«
    » –«
    »Egal, gestern jedenfalls hatte ich irgendwann die Nase voll, bin zu ihm hineinmarschiert und habe die Höllenmaschine abgestellt. ›Ich brauche das, um nachzudenken!‹ hat er geschrien. Ich habe ihm gesagt, er solle wie ein normaler Mensch lernen. ›Die Menschen sind verschieden, Vater‹, hat er mir stinksauer erwidert. Ja, wissen Sie, er ist in dem Alter.«
    McCormack hielt inne und schaute auf ein Bild auf seinem Schreibtisch.
    »Haben Sie Kinder, Holy? Nein? Manchmal frage ich mich ja, was zum Teufel ich da getan habe. Übrigens, in was für ein Rattenloch hat man Sie einquartiert?«
    »Crescent, King's Cross, Sir.«
    »King's Cross, eben. Da sind Sie nicht der erste Norweger. Vor ein paar Jahren hatten wir offiziellen Besuch von dem norwegischen Bischof oder so, ich weiß nicht mehr genau, wie das hieß. Sein Büro in Oslo hatte jedenfalls ein Zimmer im King's Cross Hotel für ihn reservieren lassen. Sie hatten geglaubt, der Name des Hotels habe irgendeine biblische Bedeutung. Als der Bischof mit seiner Gefolgschaft abends im Hotel ankam, erblickte eine der alten, eingetrockneten Huren den priesterlichen Kragen und machte ihm eine paar saftige Angebote. Ich glaube, der Bischof hat schneller wieder ausgecheckt, als seine Koffer auf dem Zimmer waren . . .!«
    McCormack lachte, daß ihm die Tränen kamen.
    »Ja, ja, Holy, was haben Sie heute vor?«
    »Ich frage mich, ob es möglich ist, einen Blick auf die Leiche von Inger Holter zu werfen, bevor man sie nach Norwegen überführt, Sir.«
    »Kensington kann Sie zur Gerichtsmedizin begleiten, wenn er kommt. Aber Sie haben doch eine Kopie des Obduktionsberichtes erhalten?«
    »Doch, doch, ja, Sir, nur . . .«
    »Nur?«
    »Ich kann besser denken, wenn ich die Leiche vor mir sehe.«
    McCormack drehte sich zum Fenster und murmelte etwas, das Harry als Okay deutete.
     
    Im Keller des South Sydney Morgue waren es acht Grad, auf der Straße draußen achtundzwanzig.
    »Bist du jetzt klüger?« fragte Andrew. Er fröstelte und schlang die Jacke enger um seinen Körper.
    »Klüger? Nein«, sagte Harry und betrachtete die sterblichen Überreste von Inger Hoher. Das Gesicht hatte den Sturz recht gut überstanden. Ein Nasenloch war aufgerissen, und der eine Kieferknochen war in einer tiefen Mulde nach innen gedrückt, aber es gab keinen Zweifel, daß das wachsbleiche Gesicht zu dem gleichen Mädchen gehörte, das auf dem Bild im Polizeibericht so fröhlich strahlte. Am Hals waren schwarze Male zu erkennen. Auf dem restlichen Körper befanden sich überall blaue Flecken, Rißwunden und mehr oder weniger tiefe Schnitte. Einer von ihnen war so tief, daß man direkt bis auf den Knochen sehen konnte.
    »Die Eltern wollten die Bilder sehen. Die norwegische Botschaft hat darauf hingewiesen, daß das nicht ratsam sei, aber der Rechtsanwalt hat darauf bestanden. Eine Mutter sollte ihre Tochter nicht so sehen.« Andrew schüttelte den Kopf.
    Harry untersuchte die Würgemale am Hals mit einem Vergrößerungsglas.
    »Der Mörder hat sie mit den bloßen Händen erwürgt. Es ist nicht leicht, einen Menschen so zu töten. Der Täter muß entweder sehr stark oder unheimlich motiviert gewesen sein.«
    »Oder es schon ein paarmal gemacht haben.«
    Harry schaute zu Andrew.
    »Wie meinst du das?«
    »Sie hat keine Hautreste unter den Fingernägeln, keine abgerissenen Haare des Mörders an ihrer Kleidung, und ihre Fingerknöchel zeigen nicht die Spur eines Kampfes. Sie muß so rasch und effektiv getötet worden sein, daß sie gar nicht mehr dazu gekommen ist, Widerstand zu leisten.«
    »Erinnert diese Vorgehensweise an etwas, mit dem ihr früher schon einmal zu tun hattet?«
    Andrew zuckte mit den Schultern.
    »Wenn man lange genug gearbeitet hat, erinnern einen alle Morde an irgend etwas, das man schon einmal gesehen

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