Der Fledermausmann
fragte Lebie. Wadkins räusperte sich. Das war sein Fachgebiet.
»Das wird in der Fachliteratur oft so dargestellt«, sagte er, »daß es sich bei den Verbrechen um eine Art Hilferuf handelt und er kleine codierte Nachrichten und Spuren hinterläßt, quasi ein Indiz für den unbewußten Wunsch, von jemandem gestoppt zu werden. Und manchmal stimmt das auch. Aber ich befürchte, daß es so einfach nicht ist. Die meisten Serienmörder verhalten sich wie ganz normale Menschen; sie wollen nicht gefaßt werden. Und wenn es sich hier tatsächlich um einen Serientäter handelt, dann hat er uns wirklich nicht viele Anhaltspunkte gegeben. Es gibt hier ein paar Sachen, die mir gar nicht gefallen . . .«
Er zog seine Oberlippe hoch und entblößte eine Reihe gelber Zähne. »Erstens, daß er ganz offensichtlich kein Muster für die Morde hat, abgesehen davon, daß die Opfer blond sind und er sie erwürgt. Das kann darauf hindeuten, daß er die Morde als einzigartige Begebenheiten ansieht, als eine Art Kunstwerk, das sich von allem abheben soll, was er bisher gemacht hat. Und das macht die Sache für uns nur noch schwieriger. Die andere Möglichkeit aber ist, daß unter all dem doch ein Muster liegt, das wir aber noch nicht erkennen. Es kann aber auch bedeuten, daß er seine Morde überhaupt nicht plant, diese aber in gewissen Situationen notwendig werden, zum Beispiel, weil die Opfer sein Gesicht gesehen, Widerstand geleistet und nach Hilfe geschrien haben oder sonst irgend etwas Unvorhergesehenes geschehen ist.«
»Vielleicht hat er nur dann gemordet, wenn er keinen hoch gekriegt hat?« grunzte Lebie.
»Vielleicht sollten wir mal einen Psychologen bitten, sich der Sache anzunehmen«, schlug Harry vor. »Es könnte ja sein, daß die uns ein psychologisches Profil erstellen, das uns weiterhilft.«
»Vielleicht«, sagte Wadkins. Er sah aber aus, als denke er an etwas vollkommen anderes.
»Und zweitens, Sir?« fragte Yong.
»Was?« Wadkins erwachte.
»Sie sagten ›erstens‹. Was ist das zweite, was Ihnen nicht gefällt?«
»Daß er ganz plötzlich aufhört«, sagte Wadkins. »Es kann natürlich ganz praktische Gründe dafür geben. Daß er verreist ist oder krank. Aber vielleicht macht er sich auch Gedanken darüber, daß ihm jemand auf die Spur kommen könnte. Und dann hört er auf. Just like that!« Er schnippte mit den Fingern.
»Und wenn es so ist, dann haben wir es wirklich mit einem gefährlichen Mann zu tun. Dann ist er diszipliniert und schlau und wird eben nicht von diesem selbstzerstörerischen Trieb geleitet, der zu guter Letzt die meisten Serienmörder entlarvt. Einen kalkulierenden, klugen Mörder werden wir kaum kriegen, bevor er nicht ein gewaltiges Blutbad angerichtet hat. Wenn es uns denn überhaupt gelingt.«
Eine düstere Stille breitete sich im Raum aus. Harry lief ein Schauer über den Rücken. Er hatte von Serienmördern gelesen, die nie gefaßt worden waren und wo die Nachforschungen der Polizei auf der Stelle traten, weil die Morde plötzlich aufgehört hatten. Bis heute wußte man nicht, ob die Mörder am Leben und vielleicht nur vorübergehend in Deckung gegangen waren.
»Was tun wir jetzt?« fragte Andrew. »Sollen wir alle blonden Frauen unter dem Pensionsalter bitten, abends nicht mehr vor die Tür zu gehen?«
»Dann riskieren wir bloß, daß er untertaucht und wir ihn niemals finden«, sagte Lebie. Er hatte ein Taschenmesser hervorgekramt und reinigte sich damit mühselig die Fingernägel.
»Andererseits frage ich mich, ob wir die gesammelte australische Blondinenschar als Lockfutter für diesen Kerl herumlaufen lassen dürfen?« erwiderte Yong.
»Es nützt doch nichts, die Menschen zu bitten, nicht mehr raus zu gehen«, brummte Wadkins. »Wenn er nach Opfern sucht, findet er sie auch. Hat er nicht bei einigen seiner Opfer sogar eingebrochen? Vergeßt es, wir müssen ihn ausräuchern.«
»Wie das denn? Er operiert doch im ganzen verdammten Osten von Australien und niemand weiß, wann er wieder zuschlägt. Der Kerl vergewaltigt und tötet doch vollkommen willkürlich.« Lebie sprach mit seinen Nägeln.
»Nein, das stimmt nicht«, entgegnete Andrew, »jemand, der so lange durchhält, macht nichts willkürlich. Es kann sein, daß manche Serienmörder wollen, daß ihre Morde an die Öffentlichkeit kommen. Sie setzen bei den Opfern ihre Duftmarken und lassen sich identifizieren. Aber dieser hier nicht. Er versucht statt dessen, Übereinstimmungen zu vermeiden. Bloß seine Neigung zu
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