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Der Fledermausmann

Der Fledermausmann

Titel: Der Fledermausmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Lautsprecher. Eine Frau in einem einfachen weißen Kleid und ein Mann mit einer langen Hose und einem weißen Hemd entstiegen dem Rauch.
    Harry hatte die Musik schon einmal gehört. Es war die gleiche, die während der ganzen Strecke von London aus den Kopfhörern des Walkmans seines Nebenmannes im Flugzeug gesickert war. Aber erst jetzt bekam er den Text mit. Eine Frauenstimme sang, daß man sie »wild rose« nannte, sie aber nicht wußte, wieso.
    Die jungmädchenhafte Stimme stand in grellem Kontrast zu der tiefen, dunklen Männerstimme.
    »Then I kissed her good-bye,
    said all beauty must die,
    I bent down and planted a rose between her teeth . . .«
     
    Harry träumte von Sternen und braunen und gelben Schlangen, als er von einem leisen Klopfen an der Tür seines Hotelzimmers geweckt wurde. Einen Augenblick lang lag er still und spürte ganz einfach, wie wohl er sich fühlte. Es hatte wieder zu regnen begonnen, und es rauschte in einer Abflußrinne draußen vor dem Fenster. Er stand auf, nackt, riß die Tür sperrangelweit auf und hoffte, daß seine beginnende Erektion Aufmerksamkeit erregen würde. Birgitta lachte überrascht und ließ sich in seine Arme fallen. Ihr Haar war klitschnaß.
    »Ich dachte, du hättest drei Uhr gesagt«, sagte Harry und tat so, als sei er beleidigt.
    »Die Gäste wollten einfach nicht gehen«, antwortete sie und hob ihr Sommersprossengesicht zu ihm empor.
    »Ich bin wild, hemmungslos und bis über beide Ohren verliebt in dich«, flüsterte er und hielt ihren Kopf fest zwischen seinen Händen.
    »Das weiß ich doch«, sagte sie ernst und packte sein pochendes Glied mit ihrer kalten, nassen Hand. »Aber so was! Ist das für mich?«
     
    Harry stand am Fenster, trank Orangensaft aus der Minibar und schaute zum Himmel. Die Wolken waren wieder verschwunden, und jemand hatte mit einer Gabel viele Male in den samtenen Himmel gestochen, so daß das göttliche Licht dahinter durch die Löcher schien.
    »Was hältst du von Transvestiten?« fragte Birgitta vom Bett aus.
    »Du meinst, was ich von Otto halte?«
    »Sowohl als auch.«
    Harry dachte nach. Er mußte lächeln.
    »Ich glaube, ich mag seine arrogante Art. Die gesenktenAugenlider, sein unzufriedenes Mienenspiel. Die Lebensmüdigkeit. Wie soll ich das nennen? Es ist wie ein melancholisches Cabaret, in dem er mit allem und jedem flirtet. Ein oberflächlicher, selbstverachtender Flirt.«
    »Und das magst du?«
    »Ich mag diese Scheiß-egal-Haltung. Daß er all das verkörpert, was die meisten Menschen hassen.«
    »Und das wäre?«
    »Schwäche. Verletzlichkeit. Die Australier brüsten sich damit, ein liberales Volk zu sein. Vielleicht sind sie es auch. Aber ich habe doch begriffen, daß das Ideal ein ehrlicher, einfacher, hart arbeitender Australier mit viel Humor und einer gewissen Portion Patriotismus ist.«
    »True blue.«
    »Was?«
    »Sie nennen das True blue. Oder Dinkum. Das heißt soviel wie, daß eine Person oder eine Sache echt ist, aus dem Volk stammt.«
    »Und hinter dieser Fassade aus jovialer Volkstümlichkeit läßt sich so viel Scheiße verbergen. Otto hingegen, mit all seinem aufgesetzten Flitter, der die Verführung, die Täuschung und das Falsche repräsentiert, scheint mir da noch das Echteste zu sein, das mir hier begegnet ist. Nackt, verletzbar und echt.«
    »He, das hört sich ja politisch verdammt korrekt an, wenn du mich fragst. Harry Holy, der beste Freund aller Schwulen, sozusagen.« Birgitta war in der Stimmung, ihn aufzuziehen.
    »Aber es hört sich doch gar nicht so schlecht an, oder?«
    Er legte sich aufs Bett, schaute sie an und zwinkerte mit seinen unschuldigen, blauen Augen. »Ich bin ja nur froh, daß ich nicht noch einmal auf Sie Lust habe, Fräulein. Wo wir doch morgen so früh raus müssen, meine ich.«
    »Das sagst du doch nur, um mich anzumachen«, sagte Birgitta. Sie warfen sich wie zwei geile Tiere aufeinander.

 
    8 Eine nette Hure,
    ein merkwürdiger Däne und Cricket
     
     
    H arry fand Sandra vor dem Dez Go-Go. Sie stand am Straßenrand und hielt Ausschau über ihr kleines Königreich in King's Cross. Mit müden Beinen balancierte sie auf hohen Absätzen, die Arme vor der Brust verschränkt. Zwischen ihren Fingern klemmte eine Zigarette, und sie hatte wieder diesen Dornröschenschlafblick aufgesetzt, der gleichermaßen anziehend wie abweisend war. Sie sah, kurz gesagt, aus wie eine x-beliebige Hure irgendwo auf der Welt.
    »Guten Morgen«, sagte Harry. Sandra schaute ihn an ohne ein Anzeichen

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