Der Fledermausmann
diesen Fall haben wir abgesprochen, daß sich die Botschaft um den weiteren Kontakt kümmert.«
Sie nickte. Eine japanische Reisegruppe stellte sich unmittelbar neben sie, und das Surren der Filmkameras mischte sich mit einer Kakophonie aus Japanisch, Möwengeschrei und dem Motorengeräusch vorbeifahrender Schiffe.
»Wußtest du übrigens, daß derjenige, der das Opernhaus auf dem Zeichenbrett entworfen hat, sich ganz einfach abgesetzt hat?« fragte Birgitta plötzlich. »Als sich die Wellen wegen der Kostenüberschreitung des Sydney Opera House überschlugen, hat der dänische Architekt J ø rn Utzon das ganze Projekt aus Protest einfach fallen lassen und ist abgehauen.«
»Ja«, sagte Harry, »wir haben letztes Mal, als wir hier waren, darüber gesprochen.«
»Aber stell dir das doch mal vor, einfach abzuhauen, wenndu etwas begonnen hast. Etwas, von dem du wirklich glaubst, daß es gut wird. Ich glaube, ich könnte das nicht.«
Es war längst klar, daß Harry Birgitta ins Albury begleiten würde, sie also nicht den Bus nahm. Aber sie hatten sich nicht allzuviel zu sagen und gingen schweigend durch die Oxford Street in Richtung Paddington. In der Ferne grummelte ein Donner, und Harry blickte verwundert in den klaren blauen Himmel. An einer Ecke stand ein grauhaariges distinguierter älterer Herr in korrektem Anzug mit einem Plakat »Der Geheimdienst hat mir meine Arbeit und mein Heim gestohlen und mein Leben zerstört. Offiziell gibt es sie nicht. Sie haben weder Adresse noch Telefonnummer und tauchen auch im Staatsbudget nicht auf. Sie glauben, daß man sie nicht anklagen kann. Helfen Sie mir, die Banditen zu finden und sie für ihre Untaten zu bestrafen. Unterschreiben Sie oder helfen Sie mir mit einer Spende.« Er hielt ein Heft voller Unterschriften in die Höhe.
Sie kamen an einem Plattenladen vorbei, und intuitiv hielt Harry an und ging hinein. Im Halbdunkel hinter dem Verkaufstisch stand ein Kerl mit Sonnenbrille. Harry fragte, ob er Platten von Nick Cave habe.
»Sure, he's Australian«, sagte der Typ und nahm seine Brille ab. Er hatte sich einen Adler auf die Stirn tätowieren lassen.
»Ein Duett, etwas mit ›wild rose‹ . . .«, begann Harry.
»Ja, ja, ich weiß, was Sie meinen. ›Where the wild roses grow‹ von Murder Ballads. Ein Scheißlied. Ein Scheißalbum. Kaufen Sie lieber eine von seinen guten Platten.«
Der Kerl setzte wieder seine Sonnenbrille auf und verschwand hinter dem Tisch.
Harry blieb verblüfft stehen und blinzelte ins Halbdunkel hinein.
»Was ist an diesem Lied so Besonderes?« fragte Birgitta, als sie wieder auf der Straße waren.
»Nichts, im Grunde.« Harry lachte laut. Der Kerl in dem Laden hatte ihm wieder zu guter Laune verholfen. »Cave und diese Frau singen über einen Mord. Es gelingt ihnen, daß sich das schön anhört, fast wie eine Liebeserklärung. Aber das ist bestimmt ein Scheißlied.« Er lachte wieder. »Ich glaube, ich fange an, diese Stadt zu mögen.«
Sie gingen weiter. Harry suchte mit den Augen immer wieder die Straße ab. Sie waren beinahe das einzige Paar auf der Oxford Street, das nicht aus zwei Jungs oder zwei Mädchen bestand. Birgitta nahm seine Hand.
»Du hättest die Schwulenparade am Mardi Gras sehen sollen«, sagte Birgitta. »Die geht hier über die Oxford Street. Im letzten Jahr, hieß es, sind mehr als eine halbe Million Menschen aus dem ganzen Land hierhergekommen, um die Parade zu sehen oder selbst teilzunehmen. Das war vollkommen verrückt.«
Die Schwulenstraße. Die Lesbenstraße. Erst jetzt bemerkte Harry, was für Kleider in den Schaufenstern ausgestellt waren. Latex. Leder. Engsitzende Oberteile und winzige Seidenhöschen, Reißverschlüsse und Nieten. Aber exklusiv und stilvoll, ohne das Plumpe und Vulgäre, das die Nachtclubs von King's Cross auszeichnete.
»Ganz in der Nähe von dort, wo ich aufgewachsen bin, wohnte ein Schwuler«, erzählte Harry. »Er war so um die Vierzig, wohnte alleine, und alle in der Nachbarschaft wußten, daß er ein Homo war Im Winter haben wir ihm Schneebälle hinterhergeworfen, ihm ›Arschficker‹ nachgeschrien und sind dann wie die Wahnsinnigen davongerannt. Wir waren überzeugt davon, daß er uns von hinten einen stechen würde, wenn er uns zu fassen bekäme. Aber er ist uns niemals nachgerannt, er hat nur seine Mütze tiefer in die Stirn gezogen und ist nach Hause gegangen. Eines Tages war er umgezogen. Er hat mir niemals etwas getan, und ich habe mich immer gefragt, warum ich ihn so
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