Der Fledermausmann
einige gibt, die den Fischen im Herbst mehr Licht geben. Die Fische sollen glauben, daß es noch Sommer ist und deshalb mehr laichen.«
»Ben redet gerne und lang, wenn er sich erst einmal auf ein Thema eingeschossen hat«, erklärte Birgitta. »Es macht ihm fast genausoviel Spaß mit den Menschen zu reden wie mit seinen Fischen.« Sie hatte während der letzten zwei Sommer als Aushilfskraft im Aquarium gearbeitet und sich dabei mit Ben angefreundet, der, seinen eigenen Angaben nach, seit der Eröffnung des Aquariums dort arbeitete.
»Nachts ist es hier so unglaublich friedlich«, sagte Birgitta. »Bleib stehen! Dort!« Sie leuchtete mit der Lampe an eine Glaswand, hinter der eine gelbschwarze Muräne ihr Versteck verließ und ihnen eine Reihe kleiner scharfer Zähne präsentierte. Etwas weiter hinten im Gang leuchtete sie auf zwei gefleckte Stachelrochen, die hinter dem grünen Glas mit Bewegungen wie Flügelschlägen in Zeitlupe durch das Wasser schwebten. »Ist das nicht wunderbar?« flüsterte sie mit glänzenden Augen. »Wie ein Ballett ohne Musik.«
Harry hatte das Gefühl, durch einen Schlafsaal zu schleichen. Die einzigen Geräusche waren ihre Schritte und ein gleichmäßiges, leises Blubbern in den Aquarien.
Vor einer großen Glaswand blieb Birgitta stehen. »Und hier haben wir den Saltie des Aquariums, Matilda aus Queensland«, sagte sie und leuchtete mit der Lampe auf die Glaswand. Dahinter lag in einem rekonstruierten Flußbett ein ausgetrockneter Stamm. In dem davorliegenden Bassin trieb ein großes Holzstück.
»Was ist ein Saltie?« fragte Harry und versuchte hinter derGlasscheibe etwas Lebendiges zu erkennen. In diesem Augenblick hob das Holzstück die Lider, und zwei grünschimmernde Augen kamen zum Vorschein. Sie reflektierten das Licht im Dunkeln.
»Das ist ein Krokodil, das im Salzwasser lebt, im Gegensatz zu den Freshies. Die Freshies ernähren sich fast ausschließlich von Fischen. Vor denen braucht man keine Angst zu haben.«
»Und die Salties?«
»Vor denen solltest du wirklich Angst haben. Manche sogenannten gefährlichen Raubtiere greifen Menschen nur an, wenn sie sich bedroht fühlen, wenn sie Angst haben oder man in ihr Territorium eingedrungen ist. Ein Saltie aber ist eine einfache, unkomplizierte Seele. Den interessiert nur dein Körper. In den Sumpfgebieten im Norden werden jedes Jahr viele Australier von Krokodilen getötet.«
Harry lehnte sich an die Glaswand.
»Führt das denn nicht zu einer gewissen . . . äh . . . Antipathie? In manchen Gegenden in Indien hat man die Tiger ausgerottet, weil die angeblich Säuglinge fraßen. Warum sind diese Menschenfresser nicht ausgerottet worden?«
»Hier unten haben die meisten ein ebenso entspanntes Verhältnis zu Krokodilen wie zu Autounfällen. Na ja, jedenfalls fast. Wenn man Straßen will, muß man halt damit rechnen, daß manch einer darauf ums Leben kommt, nicht wahr? Nun ja, und wenn man Krokodile will, dann ist das eben genauso. Diese Tiere fressen Menschen, das ist nun einmal so.«
Harry schauderte es. Matilda hatte ihre Lider wieder wie die Lichtklappen eines Porsche geschlossen. Nicht eine Bewegung an der Wasseroberfläche verriet, daß das Holzstück, das einen halben Meter von ihm entfernt hinter der Glasscheibe lag, in Wirklichkeit aus zwei Tonnen Muskeln, Zähnen und schlechter Laune bestand.
»Laß uns weitergehen«, schlug Harry vor.
»Hier haben wir Mr. Bean«, sagte Birgitta und leuchtete zu einemkleinen, braunen, flunderartigen Fisch hinein. »Das ist ein Fiddler Ray, so nennen wir auch Alex an der Bar, den Inger Mr. Bean nannte.«
»Warum Fiddler Ray?«
»Ich weiß nicht. Der hieß schon so, als ich hier angefangen habe.«
»Ein vornehmer Name. Der scheint gerne unten am Boden zu liegen?«
»Ja, und darum solltest du dich beim Baden in acht nehmen. Der ist nämlich giftig und sticht, wenn du auf ihn trittst.«
Sie gingen eine geschwungene Treppe hinunter, bis sie zu einem der großen Tanks kamen.
»Die Tanks sind eigentlich im herkömmlichen Sinn keine richtigen Aquarien, da ist einfach ein Teil des Port Jackson eingezäunt worden«, sagte Birgitta, als sie weitergingen.
Von der Decke fiel ein schwaches, grünliches Licht in wellenartigen Streifen auf sie herab. Es glitt über Birgittas Körper und ihr Gesicht. Harry hatte das Gefühl, unter der Kristallkugel einer Diskothek zu stehen. Erst jetzt richtete sie die Taschenlampe zur Decke, und Harry erkannte, daß er auf allen Seiten von Wasser
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