Der Fledermausmann
umgeben war. Sie standen in einem gläsernen Tunnel unter dem Meer, und das Licht kam von außen und wurde durch das Wasser gefiltert. Ein großer Schatten glitt ganz nah an ihnen vorbei, und Harry zuckte unwillkürlich zusammen. Birgitta lachte und richtete den Lichtkegel der Taschenlampe auf einen riesigen Rochen mit einem gewaltigen Schwanz, der an der Glaswand vorbeischwamm.
»Mobulidae«, sagte sie. »Teufelsrochen.«
»Mein Gott, so etwas Riesiges!« flüsterte Harry.
Der Rochen war eine einzige, wellenartige Bewegung, wirkte wie ein endloses Wasserbett, und Harry wurde allein von dem Anblick müde. Dann drehte der Rochen um, neigte sich zur Seite, winkte ihnen zu und entschwebte wie ein schwarzes Gespenst in die dunkle Wasserwelt.
Sie setzten sich auf den Boden, und Birgitta breitete eineDecke aus, holte zwei Gläser aus ihrem Rucksack, eine Kerze und eine Flasche Rotwein ohne Etikett. Das Geschenk von einem Freund, der auf einem Weingut im Hunter Valley arbeitete, erklärte sie und öffnete die Flasche. Dann legten sie sich nebeneinander auf die Decke und schauten nach oben ins Wasser.
Es war, wie in einer auf den Kopf gestellten Welt zu liegen, wie in einen umgestürzten Himmel zu blicken, mit Fischen in allen Regenbogenfarben und merkwürdigen Geschöpfen, die jemandem mit allzu wilder Phantasie eingefallen sein mußten. Ein blauschimmernder Fisch mit einem fragenden Mondgesicht blieb direkt über ihnen mit schwach vibrierenden Brustflossen stehen.
»Ist es nicht wunderbar, wieviel Zeit sie sich nehmen, wie ziellos ihre Beschäftigung zu sein scheint?« flüsterte Birgitta. »Spürst du, wie sie die Zeit bremsen?« Sie legte eine kalte Hand auf Harrys Hals und drückte leicht zu.
»Spürst du, wie dein Puls fast zu schlagen aufhört?« Harry mußte schlucken.
»Ich habe nichts dagegen, wenn die Zeit nur langsam verrinnt. Jetzt nicht«, sagte er, »nicht in den nächsten paar Tagen.« Birgitta drückte fester zu.
»Rede jetzt nicht davon«, sagte sie.
»Manchmal denke ich: ›Harry, du bist, verdammt noch mal, doch nicht so blöd.‹ Ich hab zum Beispiel gemerkt, daß Andrew von Aborigines immer als ›die‹, daß er über sein eigenes Volk in der dritten Person spricht. Deshalb habe ich mir schon eine ganze Menge über seine persönliche Geschichte zusammengereimt, bevor Toowoomba mir die konkreten Details erzählt hat. Ich hätte wirklich getippt, daß Andrew nicht bei seiner Familie aufgewachsen ist, daß er irgendwie nirgendwo richtig zu Hause ist, sondern an der Oberfläche dahintreibt und die Dinge von außen betrachtet. So wie wir jetzt hier sitzen und eine Welt betrachten, an der wir selbst nicht teilhabenkönnen. Nach dem Gespräch mit Toowoomba war mir noch einiges mehr klar: Andrew wurde keineswegs der natürliche Stolz in die Wiege gelegt, den man als Mitglied eines bestimmten Volkes hat, sondern er mußte sich seinen eigenen schaffen. Zuerst glaubte ich, er schäme sich für seine Brüder, aber jetzt verstehe ich, daß es seine eigene Scham ist, gegen die er kämpft.«
Birgitta murmelte etwas, aber Harry fuhr fort:
»Manchmal glaube ich, daß ich teilweise verstehe. Aber nur, um dann im nächsten Augenblick wieder in die große Verwirrung zu stürzen. Ich mag diese Verwirrung nicht, ich kann sie nicht akzeptieren. Deshalb wünschte ich mir, ich hätte entweder nicht diese Gabe, Details wahrzunehmen, oder aber ich besäße die Fähigkeit, diese Bruchstücke zu einem Bild zusammenzusetzen, das Sinn macht.« Er drehte sich zu Birgitta und begrub sein Gesicht in ihren Haaren.
»Es ist einfach ein Fehler von Gott, einen Menschen von so geringer Intelligenz mit einer so ausgeprägten Beobachtungsgabe auszustatten«, sagte er und versuchte herauszufinden, woran ihn der Geruch von Birgittas Haaren erinnerte. Aber es lag so lange zurück, daß er es vergessen haben mußte.
»Also, was glaubst du zu erkennen?« fragte sie.
»Daß alle versuchen, auf etwas hinzuweisen, das ich nicht begreife!«
»Was denn?«
»Ich weiß es nicht. Sie sind wie Frauen, erzählen mir eine Geschichte, die etwas ganz anderes bedeuten soll. Wahrscheinlich ist das, was zwischen den Zeilen steht, überdeutlich zu erkennen, aber ich habe eben, wie gesagt, nicht den Blick dafür. Warum könnt ihr Frauen nicht einfach sagen, was ihr wollt? Ihr überschätzt die männliche Interpretationsgabe.«
»Willst du mir jetzt die Schuld geben?« rief sie lachend und schlug nach ihm. Das Echo rollte durch den
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