Der Fledermausmann
wurde er trotz seines Vorstrafenregisters und des hohen Alters angenommen, vielleicht, weil die Regierung sich einen höheren Anteil an Aborigines bei der Polizei wünschte. Andrew schnitt sich also die Haare ab, nahm den Ring aus dem Ohr und verzichtete auf die Chemikalien. Den Rest kennst du. Als Karrieremensch ist er natürlich untauglich, aber er gilt trotzdem als einer der besten Ermittler in ganz Sydney.«
»Zitierst du noch immer Andrew?«
Toowoomba lachte.
»Natürlich.«
Auf der Bühne hinten lief das Finale der täglichen Stripteaseshowmit »Y.M.C.A.« von den Village People, ein sicherer Erfolgssong.
»Du weißt viel über Andrew«, sagte Harry.
»Andrew ist für mich fast wie ein Vater«, sagte Toowoomba. »Als ich nach Sydney zog, hatte ich keine anderen Pläne, als möglichst weit von zu Hause wegzukommen. Ich wurde von Andrew buchstäblich auf der Straße aufgelesen, und er begann mich und ein paar andere Jungs, die in der Gosse gelandet waren, zu trainieren. Er war es auch, der mich dazu brachte, wieder an der Universität anzufangen.«
»Oha, noch ein studierter Boxer?«
»Englisch und Geschichte. Mein Traum ist es, eines Tages mein Volk zu unterrichten.« Er sagte das mit Überzeugung und Stolz.
»Und bis dahin willst du besoffenen Seeleuten und Bauerntölpeln den Mist aus dem Hirn klopfen?«
Toowoomba lächelte.
»Man braucht Startkapital, um es in dieser Welt zu etwas zu bringen, und ich habe nicht die Illusion, als Lehrer viel zu verdienen. Aber ich boxe nicht nur gegen Amateure. Ich habe mich für die australische Meisterschaft in diesem Jahr angemeldet.«
»Um den Titel zu bekommen, den Andrew nie erhalten hat?«
Toowoomba hob sein Glas, um anzustoßen.
»Vielleicht.«
Nach der Show begann es sich an der Bar zu lichten. Birgitta hatte gesagt, sie hätte heute abend eine Überraschung für Harry, und er wartete ungeduldig, daß das Albury endlich schloß.
Toowoomba saß noch immer am Tisch. Er hatte bezahlt, und jetzt saß er da und drehte sein Bierglas in der Hand. Harry hatte ganz plötzlich das unbestimmte Gefühl, daß Toowoomba etwas wollte, etwas anderes, als alte Geschichten zu erzählen.
»Seid ihr in der Sache, wegen der du hier bist, weitergekommen, Harry?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Harry, und das stimmte. »Manchmal hat man das Gefühl, daß man etwas mit dem Fernglas sucht und die Lösung so nah liegt, daß man nichts anderes wahrnimmt als einen unscharfen Fleck auf der Linse.«
»Oder daß man in die falsche Richtung schaut.«
Harry schaute ihn an, während er den Rest seines Glases herunterkippte.
»Ich muß gehen, Harry, aber laß mich dir erst noch eine Geschichte erzählen, die deine Kenntnis über unsere Kultur vielleicht ein wenig erweitert. Hast du schon einmal von der black snake gehört?«
Harry nickte. Er hatte etwas über die Reptilien gelesen, vor denen man sich in Australien in acht nehmen mußte. Wenn er sich richtig erinnerte, war die black snake nicht sonderlich groß, dafür aber um so giftiger.
»Das ist richtig. Aber wenn man der Fabel glaubt, war das nicht immer so. Vor langer, langer Zeit, in der Zeit der Träume, war die black snake eine ungefährliche Schlange. Statt dessen war die Guana-Echse giftig und viel größer als heute. Sie fraß Menschen und Tiere, und eines Tages rief das Känguruh alle Tiere zusammen, um zu beraten, wie sie den gierigen Mörder – Mungoongali, den Häuptling der GuanaEchsen – beseitigen konnten. Ouyouboolooey – black snake – die furchtlose, kleine Schlange, erklärte sich sofort bereit, die Aufgabe zu übernehmen.«
Toowoomba saß leicht zurückgelehnt und erzählte mit leiser, ruhiger Stimme, sein Blick aber war dabei fest auf Harry gerichtet.
»Die anderen Tiere lachten über die kleine Schlange und sagten, daß man wohl größer und stärker sein müsse, um gegen Mungoongali zu kämpfen. ›Wartet nur ab und schaut zu‹, sagte Ouyouboolooey und machte sich schlängelnd in Richtungdes Lagers des Echsen-Häuptlinges auf. Dort angekommen, grüßte sie das riesige Exemplar einer Echse und sagte, sie sei ja nur eine kleine Schlange, kein sonderlich appetitlicher Leckerbissen, und sie suche nach einem Ort, wo sie von all den anderen Tieren, die sie nur aufzögen und ärgerten, in Ruhe gelassen würde. ›Paß auf, daß du nicht im Weg bist, sonst wird es dir übel ergehen‹, sagte Mungoongali und sah nicht so aus, als interessiere ihn die kleine Schlange. Am nächsten Morgen ging Mungoongali
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