Der Fliegende Holländer
deinem Alter entsprechend, Vanderdecker‹, so was in der Richtung. Und da ich nicht aufhören konnte, selbst wenn ich es gewollt hätte, bin ich nie sonderlich scharf darauf gewesen, gefunden zu werden. Ich hab dieses Gefühl, daß ich auf die eine oder andere Weise die Regeln verletze, und das ist überhaupt nicht meine Art.«
»Welche Regeln?«
»Na, die Regeln eben. Vielleicht verstehen Sie das nicht. Ich will versuchen, es Ihnen zu erklären. Erinnern Sie sich daran, als Sie zum erstenmal in Ihrem Leben ins Ausland gefahren sind?«
Jane erschauderte. »Nur zu gut.«
»Erinnern Sie sich noch an dieses schreckliche Schuldgefühl, das Sie dabei empfunden haben – ich gehe einfach davon aus, daß Sie es empfunden haben –, als würden Sie, ohne es zu wissen, alle möglichen einheimischen Gesetze und Bräuche verletzen? Und hatten Sie nicht auch diese Angst, früher oder später von einem dieser Polizisten mit Hüten wie Käseglocken verhaftet zu werden?«
»Und ob«, stimmte Jane ihm zu. »Ich glaube, das ist ein ganz natürliches Gefühl, wenn man in einem fremden Land zu Gast ist.«
»Na gut«, fuhr Vanderdecker fort. »Dann können Sie sich ja vorstellen, daß ich mich die ganze Zeit so fühle. Mit Ausnahme an Bord eines Schiffs auf hoher See bin ich überall ein Fremder. Ich glaube nicht, daß ich irgendwelche Gesetze gebrochen hab, denn ich nehme nicht an, daß es irgendwo als illegal angesehen wird, einfach nur am Leben zu sein – außer vielleicht in einigen Teilen Südostasiens. Aber allein der Gedanke an alle die Peinlichkeiten, die damit verbunden sind, wenn mich jemand fragt, wer ich sei und was ich vorhätte … Verstehen Sie, worauf ich hinauswill? Das bedeutet, daß ich praktisch auf keine einzige Frage, die mir gestellt wird, jemals eine wahrheitsgetreue Antwort geben kann, und das nur aus Angst, für verrückt oder unhöflich gehalten zu werden. Das setzt einem nach einer Weile ganz schön zu, das kann ich Ihnen versichern. Und dann ist da natürlich noch dieser Geruch.«
»Ja. Ich hab mir gedacht, daß das ein Problem ist«, warf Jane ein.
»Und ob! Ein ganz entscheidendes Problem sogar«, unterstrich Vanderdecker.
»Wenn wir noch mal auf Ihre Lebensversicherung zu sprechen kommen könnten«, schlug Jane unverbindlich vor.
»Sie wollen also, daß ich darauf verzichte?«
»Nein.« Jane verstand nicht, weshalb sie sich dessen so sicher war. »Die wollen, daß Sie darauf verzichten. Beziehungsweise daß Sie denen die Police zurückübertragen, aber das kommt auf dasselbe raus.«
»Ich verstehe. Und warum sollte ich das tun?«
Jane fiel kein einziger vernünftiger Grund dafür ein, und das war überhaupt nicht gut.
»Sie müssen schon entschuldigen, wenn ich diesbezüglich in etwas verworrenen Bahnen denke«, fuhr Vanderdecker fort. »Schließlich hab ich mir über all die indirekten Folgen, die damit verbunden sind, noch keinerlei Gedanken machen können. Also, warum sollte ich verzichten?«
»Nun … ehm … die Versicherung nutzt Ihnen ja praktisch nichts«, argumentierte Jane kraftlos.
Vanderdecker blickte sie mißmutig an. »Sie müssen schon entschuldigen, wenn ich das sage, aber das gilt doch für sämtliche Lebensversicherungen. Verbessern Sie mich, wenn ich unrecht hab, aber die Grundvoraussetzung, um diese verdammte Prämie abzukassieren, ist ja wohl, tot zu sein, und ich erinnre mich daran, irgendwo mal was davon gehört zu haben, daß einem die Summe niemals persönlich ausgezahlt wird.«
»Genau!«
»Was genau?« fragte Vanderdecker verwirrt.
»Sie können die Prämie nicht selbst einstreichen«, sagte Jane. »Also nutzt Ihnen die Versicherung persönlich gar nichts. Andererseits bringt die Police die finanzielle Stabilität Europas in Gefahr.«
»Und was ist an der finanziellen Stabilität Europas so umwerfend toll?« wollte Vanderdecker wissen.
Jane hatte das Gefühl, zu einer Erklärung durchaus in der Lage zu sein, schließlich war sie Buchhalterin. Aber während sie sich noch nicht ganz schlüssig war, wo sie beginnen sollte, fuhr Vanderdecker damit fort, was er eigentlich sagen wollte.
»Lassen Sie es mich so ausdrücken. Wenn das stimmt, was Sie behaupten, bin ich in der Lage, der gesamten Finanzwelt vorzuschreiben, was sie zu tun hat. Demnach besitze ich die Macht, die konkrete und nützliche Macht, ein bißchen gesunden Menschenverstand in das Wirtschaftssystem der Industriestaaten zu bringen. Mit anderen Worten: Ich könnte die Welt retten.«
»Wollen Sie
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