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Der Fliegende Holländer

Der Fliegende Holländer

Titel: Der Fliegende Holländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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Glas, um so die weißen Flocken vom Boden aufzuwirbeln. »Gern, aber diesmal möchte ich das leichtere Dunkelbier.«
    »Ist das leichtere besser?«
    »Nein.«
    Kurz darauf kam Jane mit den Getränken zurück. »Wenn das leichte Bier nicht schmeckt, warum trinken Sie es dann?« wollte sie wissen.
    »Weil ich einen klaren Kopf behalten will«, antwortete Vanderdecker. »Aber was ist denn nun an meiner Lebensversicherungspolice so Besonderes? Und versuchen Sie bitte, nicht zu lachen, wenn Sie’s mir erzählen.«
    Jane holte tief Luft. Obwohl ihr klar war, daß sie mit der Finanzstabilität der gesamten freien Welt spielte, kam es ihr gar nicht so schlimm vor, und letztendlich war der seltsame Mann lange nicht so seltsam, wie sie zunächst vermutet hatte. »Bevor ich es Ihnen erzähle – würde es Ihnen was ausmachen, wenn ich Ihnen eine Frage stelle?«
    »Nur zu«, ermunterte Vanderdecker sie.
    »Was genau erwarten Sie vom Leben, Mister Vanderdecker?«
    Der Fliegende Holländer lächelte; das heißt, eine anfängliche Bewegung seiner Mundwinkel entwickelte sich zu einer kleinen Welle direkt unterhalb seiner Nase, und das Ganze endete schließlich mit einer vollen Zurschaustellung gerader weißer Zähne. »Was für eine eigenartige Frage!« stieß er erstaunt hervor.
    »Das stimmt allerdings«, räumte Jane ein. »Und in der Regel hab ich mit diesem ganzen Psychokram auch nichts am Hut. Aber Sie müssen wissen, daß es in diesem Fall ziemlich wichtig ist.«
    Vanderdecker war überrascht. »Wirklich?«
    »Ja, eigentlich schon.«
    »Na gut«, willigte Vanderdecker ein, sammelte sich und blickte ernst drein. »Ich sehe das so: Nach dieser ganzen Zeit und mit den vielen Dingen, die ich in meinem Kopf mit mir herumtrage, von denen ich Ihnen bereits erzählt hab, stellte sich für mich immer eher die Frage, was, zum Teufel, das Leben eigentlich von mir erwartet. Mord und Totschlag?«
    »Ich verstehe«, bemerkte Jane, obwohl sie nichts verstand. Wenn sie ein Notizbuch bei sich gehabt hätte, hätte Sie sich das vermutlich alles aufgeschrieben. »Also haben Sie nie an Größenwahn gelitten oder das Verlangen verspürt, die Welt zu beherrschen?«
    »Wie? Ich?« staunte Vanderdecker. »Nein, das kann ich wirklich nicht von mir behaupten. Natürlich wäre es ganz schön, ein paar Dinge zu ändern.«
    Jane beugte sich vor und blickte ihn ernst an. »Zum Beispiel?«
    Vanderdecker überlegte. »Ach, ich weiß auch nicht. Jetzt, da Sie es erwähnt haben, fällt mir jedenfalls nichts ein, was auch nur im entferntesten eine Rolle spielt. In meinem Alter entwickelt man ein wunderbares Gespür dafür, die Dinge so zu sehen, wie sie sind.«
    »Sie sehen wie dreiunddreißig aus.«
    »Na ja, wie fünfunddreißig. Sie schmeicheln mir. Kommen wir nicht ein bißchen vom Thema ab, oder spielt das alles eine Rolle?«
    »In gewisser Weise spielt es eine Rolle, Mister Vanderdecker. Sie selbst halten sich also für einen relativ ausgeglichenen und – im positiven Sinne – ziemlich angepaßten Menschen, richtig?«
    »Vielleicht«, entgegnete der Fliegende Holländer. »Wenn man bedenkt, daß ich schon seit über vierhundertfünfzig Jahren lebe und davon sieben Achtel dieser Jahre geistestötend langweilig waren, finde ich, daß ich ganz gut zurechtgekommen bin. Was meinen Sie, Miß Doland?«
    »Ich glaube, daß ich Anfang der sechziger Jahre des sechzehnten Jahrhunderts total verrückt geworden wäre.«
    »Das hab ich auch versucht«, erinnerte sich Vanderdecker. »Es dauerte ungefähr acht Stunden. Man kann nicht verrückt werden, wenn man ein Schiff führt, was ich ja fast Zeit meines Lebens getan hab. Man findet einfach keine Gelegenheit dazu. Kaum will man mal durch den tiefen Sumpf seiner seelischen Abgründe waten und hat endlich ein paar melancholische Gefühle entwickelt, streckt schon jemand den Kopf um die Ecke und sagt einem, daß sich der Koch und der Bootsmann schon wieder prügeln, daß irgendein Idiot den Sextanten verloren hat oder daß wir anscheinend sechzig Wegstunden vom Kap der Guten Hoffnung entfernt sind und ob wir nicht eigentlich nach Florida wollten. Es gibt alle möglichen Dinge, zu denen ich schon immer mal kommen wollte – zum Beispiel Flötespielen lernen, die Quadratwurzel von Null ausrechnen, verrückt werden – aber ich hatte einfach nie die Zeit dazu. Nach einer Weile gibt man auf und macht einfach mit dem alltäglichen Kram weiter.«
    »Aber kommen Sie sich denn niemals …« Jane suchte nach den passenden

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