Der Fluch der bösen Tat
andere muß noch dazukommen, ehe man sich wieder erinnert«, versuchte er es.
»Dann wär das nicht passiert!« wiederholte sie mit tränenerstickter Stimme.
Per ließ sie erst einmal in Ruhe. Gleich käme der Streifenwagen und die Leute vom Morddezernat mit den Technikern und der ganzen Ausrüstung. Das war nicht mehr seine Sache. Dies war ein Mordfall, und da hätten andere eine weit größere Sachkenntnis. Sie würden den Fall übernehmen, Untersuchungen anstellen, die Fahndung ausschreiben. Das Übliche. Er blickte auf das Gewehr, das in dem offenen Koffer auf dem Boden lag. Janos war ohne seine Waffe verschwunden. Er hatte das Weite gesucht. Irgend etwas mußte ihn erschreckt haben. Eigentlich war Sara Santanda jetzt in größerer Sicherheit. Als ob das Lise trösten könnte, aber es milderte den Druck auf ihn. Trotzdem fragte er: »Was wußte dein Mann?«
Sie sah ihn an. Ihre Augen waren tränenerfüllt, und er empfand große Zärtlichkeit für sie. Warum war sie nicht im Auto geblieben? Warum konnten Journalisten nie ihre verfluchte Neugier zähmen?
»Er war mein Mann. Ich hab ihm natürlich einiges erzählt.«
Er schaute sie an.
»Aha. Was soll’s. Janos ist über alle Berge. Ihm ist irgendwas dazwischengekommen.«
»Ich möchte nach Hause«, sagte sie leise.
»Hast du jemanden, der zu dir kommen kann? Ich muß jetzt …«
»Eine gute Freundin. Sie wird bestimmt kommen.«
»Gut.«
Er sah ihr an, daß sie das Erlebnis noch nicht verdaut hatte. Sie konnte immer noch zusammenbrechen.
»Ich möchte nach Hause«, sagte sie noch einmal.
»Was kann Ole ihm erzählt haben?« fragte Per. Er konnte es nicht lassen, obwohl er merkte, daß der Schmerz in ihr Gesicht zurückkehrte.
»Nichts. Ole kannte keine Details. Ich möchte nach Hause, Per.«
Per sprach fast zu sich selbst. »Er ist kein Kamikazetyp. Er ist Profi. Simba ist jetzt sicherer. Er hat sein Gewehr nicht mitgenommen. Wußte Ole vom Flakfort?«
»Hast du gehört, was ich gesagt habe, Per? Ich möchte nach Hause.«
»Wußte er was?«
»Nein, wußte er nicht.«
»Ich besorge einen Streifenwagen, der dich nach Hause bringt.« Er reichte ihr sein Handy. »Hier, ruf deine Freundin an, und nimm was zum Schlafen, wenn du nach Hause kommst.«
»Nein, danke. Morgen habe ich einen anstrengenden Tag vor mir, das heißt heute.«
»Du mußt das doch morgen nicht machen, Lise. Kein Mensch verlangt oder erwartet, daß du dein Programm durchziehst, nach dem, was passiert ist.«
»Wenn ich nicht arbeite, geh ich vor die Hunde«, sagte sie und wählte die Nummer.
Sie konnte es nicht mehr hören, daß sie ins Bett gehen solle. Die Freundin sagte es auch, als sie in Lises Küche saßen und Wein tranken und rauchten, und Tagesen rief an und sagte das gleiche und wiederholte es noch einmal, als sie im äußersten Flügel des Kopenhagener Flughafens standen. Kapierten sie denn nicht, daß sie nur durch konzentrierte Arbeit einen Nervenzusammenbruch verhindern konnte? Und Trauer und Schuld auf Distanz halten konnte? Ihr war klar, daß es furchtbar werden würde, wenn der Besuch überstanden war und die Polizei Oles Leiche nach den abschließenden Untersuchungen und der Obduktion freigab und sie an Bestattung, Anwälte und Zukunft denken mußte. Dann wäre sie mit ihrer Trauer und Schuld allein, aber den Zeitpunkt, wann sie der Welt für eine Weile entfliehen wollte, wollte sie trotz allem selbst bestimmen.
Lise wartete zusammen mit Per, John und Tagesen auf den Flug aus London. Sie hatte einen Rock und eine feine Bluse mit Jacke angezogen. Sie hatte sich sorgfältig und stärker geschminkt als sonst, und doch schimmerten ihre Blässe und ihr Gram hindurch. Sie hatte ein paar Stunden an der Seite ihrer Freundin geschlafen, die ihr die Hand gehalten hatte. Die Polizei war von ihrer normalen Praxis abgewichen und hatte eine vorläufige Nachrichtensperre verhängt. Nicht um sie vor den Kollegen von der Presse zu schützen, sondern ausschließlich deshalb, damit Janos nicht erfuhr, daß sie seinen Stützpunkt entdeckt hatten, falls er nicht sowieso über alle Berge war. Per trug seine üblichen Sachen, während Tagesen einen Anzug anhatte. Per war mitgeteilt worden, daß Saras British-Airways-Flug gelandet war. Sie hatte die Erlaubnis, als erste von Bord zu gehen.
Väterlich legte Tagesen den Arm um Lises Schulter.
»Du brauchst dir das hier nicht anzutun, Lise. Du kannst ruhig nach Hause fahren«, sagte er noch einmal.
Sie schüttelte seinen Arm ab.
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher