Der Fluch der bösen Tat
sie hier in Sicherheit waren. Es hatte Vuk zwei Tage gekostet, hierher zu gelangen, nachdem er spät in der Nacht den Fluß überquert hatte. Wie so oft nach einer Aktion war er einen Tag länger bei Emma geblieben. Hatte sie morgens geliebt, den größten Teil des Tages geschlafen, sie abends noch einmal geliebt und danach mit seinem kleinen, zusammenklappbaren Floß den Fluß überquert. Es war völlig undramatisch verlaufen. Im Osten und Süden hatte er Schießereien gehört, aber von kleinkalibrigen Waffen und außerdem weit genug weg, so daß er kein Versteck gesucht hatte, sondern allein weiter durch die Nacht gegangen war.
Der Kommandant und der Mann im Anzug gingen Vuk entgegen. Radovan blieb stehen. Er fuhr den Wagen und wachte über die Sicherheit des Kommandanten, aber er vertrat die Auffassung, je weniger er von den eingegangenen Verabredungen wußte, desto besser. Eines Tages käme die Stunde der Abrechnung, und dann kam es darauf an, so wenig wie möglich gesehen, gehört und erlebt zu haben.
Der Mann im Anzug war ebenfalls kompakt und muskulös, obwohl sein Bauch langsam Fett ansetzte. Er schwitzte, behielt die Jacke aber an. Vuk trug verwaschene Jeans und ein weißes T-Shirt. Die braune Lederjacke hing über der Stuhllehne. Vuk vermutete, daß der Mann im Anzug Russe war. Es war genauso wie mit den Amerikanern. Vuk erkannte sie sofort. Einerlei, ob sie sich anders anzogen oder versuchten, ihren Typ zu ändern. Es war die Art, wie sie gingen, wie sie den Kopf bewegten, die ganze Körpersprache. Wie mit den Dänen. Über Verkleidungen wußte Vuk eine ganze Menge. Er wußte auch, daß Gangart, Haltung, Angewohnheiten die Leute entlarvten, und die sorgfältige Beobachtung anderer Leute war ihm zu einer ständigen Übung geworden.
Der Russe trug einen eleganten westlichen Anzug, aber irgendwie roch er nach Militär oder altem KGB, der jetzt vielleicht seine Talente einsetzte, um für die streitenden Parteien des jugoslawischen Bürgerkriegs Waffen einzuschmuggeln. Er hatte ein breites slawisches Gesicht und dunkle Augen. Sein kurzes schwarzes Haar war dicht und artig gescheitelt. Im Grunde stank er nach Mafia.
Vuk erhob sich und verhielt sich abwartend. Der Kommandant trat einen Schritt auf ihn zu und reichte ihm die Hand. Als Vuk sie ergriff, zog ihn der Kommandant an sich und umarmte ihn kurz, wobei sie sich gegenseitig auf den Rücken klopften.
»Das war wieder einmal tadellos, mein Junge. Ich bin stolz auf dich«, sagte der Kommandant auf serbokroatisch mit einer vom schwarzen Tabak des Balkans heiseren Stimme.
»Schon gut«, sagte Vuk und trat einen Schritt zurück.
»Du liebst das Töten, Vuk«, sagte der Kommandant.
»Das sagst du immer.«
»Stimmt es nicht?«
»Nein«, sagte Vuk.
»Du machst es gut.«
»Wer ist das?« fragte Vuk.
Der Kommandant drehte sich zu dem Russen um und sagte auf englisch, obwohl er und Vuk genug Russisch konnten, um ein Gespräch zu führen: »Das ist mein Junge. Von dem ich glaube, daß du ihn brauchen kannst. Der serbische Däne. Vuk.«
Sein Akzent war unüberhörbar, aber der Tonfall war amerikanisch. In aller Heimlichkeit hatte er mehrere Kurse bei den Green Berets in Texas mitgemacht. Damals während des kalten Krieges, als Jugoslawien zwar neutral war, aber den russischen Bären mehr fürchtete als die Imperialisten in Washington. Die Amerikaner bildeten mit größtem Vergnügen alle und jeden aus, der vorübergehend als Verbündeter angesehen werden konnte. Ob der irakische Offizier, der gegen den Iran war, oder der serbische Soldat, der gegen die Sowjetunion war. Die Amerikaner hatten kein historisches Bewußtsein, und im strategischen Denken waren sie totale Nullen, hatte der Kommandant ihn belehrt. Der Kommandant war stolz auf sein Ami-Englisch, was er bei jeder Gelegenheit vorführte.
Der Russe reichte ihm die Hand, und Vuk ergriff sie. Der Russe hatte einen festen Händedruck und sah einem gerade in die Augen.
» Pleased to meet you, Vuk « , sagte er in gepflegtem Englisch. Bestimmt ein ehemaliger KGB-Mann, der unter diplomatischem Deckmantel in London und vielleicht noch in anderen europäischen Städten agiert hatte. »Ich hab viel von Ihnen gehört. Nur Gutes.«
»Haben Sie einen Namen?«
»Krawtschow.«
»Dann setzen Sie sich, Herr Krawtschow, und trinken Sie einen mit.«
Krawtschow zog ein Taschentuch heraus und wedelte sorgfältig die verstaubten, abgenutzten Plastiklamellen seines Stuhls ab, bevor er sich setzte. Vuk füllte die drei
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