Der Fluch der Druidin
für Narren halten.«
»Das ist der dritte Grund.«
»Ich habe den Eindruck, man muss schon ein Kimber sein, um diesen Gedankengängen folgen zu können.«
Nando lachte hart auf. »Darauf kommt es ja an! Kein römischer Feldherr denkt wie Boiorix.«
Diesmal war es der Krüppel, der überrascht stehen blieb und Nando dazu zwang, dasselbe zu tun. »Du meinst nicht, dass er recht hat? Du glaubst, Boiorix irrt? Oder dass Gaius Marius ihn …«
»Sprich weiter, Krüppel, und ich töte dich!«
Der Helvetier ließ Nandos Handgelenk, nach dem er leichtfertig gegriffen hatte, hastig wieder fahren. »Das glaube ich nicht«, murmelte er, ohne klarzumachen, ob er die Ernsthaftigkeit von Nandos Drohung oder dessen Zweifel am Plan des Königs meinte.
Nando atmete tief durch. »Ich habe es eilig«, betonte er. »Die Hälfte unseres Trosses rollt in diesem Moment über die Ebene, und eigentlich sollte ich ihn begleiten. Gibt es also irgendetwas, was du noch von mir willst?«
Aber der Krüppel hörte ihm schon längst nicht mehr zu. Ein Ausdruck unsäglicher Trauer und Scham überzog sein Gesicht. Er trat hinter Nando, als ob er sich verstecken wollte. Nando drehte sich um, um zu sehen, was den Helvetier so aus der Fassung gebracht hatte.
Sumelis kam auf sie zu. Eine Priesterin schritt an ihrer Seite, hatte ihr eine Hand in den Nacken gelegt und führte sie, als wäre sie ein Hund. Sumelis sah fürchterlich aus: das Haar stumpf und wirr, spröde, nach unten gezogene Mundwinkel in einem Gesicht, dessen Züge gleichzeitig aufgequollen und eingefallen schienen. Ihr Gang war unsicher, die dunklen Augen glänzten über schattigen Ringen in gerötetem Weiß. Alles Mädchenhafte, Unschuldige, Lebhafte schien verloren, es war, als wäre sie in den letzten Tagen um Jahre gealtert.
Sumelis bemerkte Nando erst, als sie fast in ihn hineinrannte, und das war es, was ihn am meisten entsetzte. Sonst schien sie immer gespürt zu haben, wenn er in der Nähe war. Doch vielleicht war seine Seele mittlerweile selbst für Sumelis nicht mehr erfassbar, schoss es Nando durch den Kopf.
Toter als tot.
»Herrin, es tut mir so leid!«, hörte Nando den Krüppel neben sich flüstern, kurz bevor dieser auf dem Absatz kehrtmachte und davoneilte, noch bevor sich Sumelis’ geweitete Pupillen überhaupt auf ihn richten konnten. Nando hätte es ihm am liebsten gleichgetan.
Sumelis war bei Nandos Anblick zusammengefahren. Er konnte förmlich hören, wie sie mit sich selbst kämpfte, keinen Laut auszustoßen, sich aufrichtete und das Kinn einen Fingerbreit hob, aber das Zittern ihrer Unterlippe verriet sie. Nando hatte vergessen, wie stolz Sumelis sein konnte.
»Boiorix wollte sich erkundigen, ob es dir gutgeht«, stieß Nando hastig hervor. Sumelis war eine Armlänge von ihm entfernt stehen geblieben. Sie klammerte sich an das Handgelenk der Priesterin an ihrer Seite und kniff die Augen zusammen, als wollte sie sichergehen, dass die Gestalt vor ihr auch tatsächlich Nando war. Bei seinen Worten weiteten sich ihre Augen einen Moment lang, dann erloschen sie wieder. Langsam drehte sie den Kopf zur Seite.
»Es geht mir gut«, antwortete sie heiser.
Und dann ging sie an ihm vorbei. Ließ ihn, vergessen inmitten der hektischen Betriebsamkeit des aufbrechenden Trosses, alleine zurück.
Regungslos wie eine Statue in einem kalten Strom, umflossen von teilnahmslosen Menschen, Tieren, Wagen, starrte Nando ihr nach. Er wünschte sich, Sumelis hätte ihn geschlagen, selbst wenn er wusste, dass sie das niemals tun würde. Sie konnte es nicht verstehen!, dachte er. Er hatte es ihr nicht erklärt, wozu auch? Weshalb war da also kein Hass? Sollte sie ihn nicht hassen? Verachten?
Nando wünschte, er wäre selbst in der Lage, abermals Wut zu empfinden. Wut wegen dem, was sie ihm erzählt hatte. Die Wut hatte seinen Weg frei gemacht, seine Gedanken geklärt. Sie hatte seine Entscheidung gefällt. Obwohl, das stimmte nicht ganz. Seine Entscheidung war aus Kälte getroffen worden, nicht Hitze. Es war nicht Zorn, der ihn hatte handeln lassen, sondern Unausweichlichkeit. Bestimmung. Seine Bestimmung. Und seine Abscheu über sich selbst, weil er sich so zum Narren hatte halten lassen.
Sumelis kann nichts dafür,
wiederholte eine Stimme in seinem Inneren.
Sie weiß es nicht einmal!
Es hatte eine zweite Straße in seinem Leben gegeben, aber die Straße hatte sich unter dem schallenden Gelächter eines hinterhältigen Gottes in eine Wand aus Eis verwandelt, deren Spiegelung
Weitere Kostenlose Bücher