Der Fluch der Druidin
wortlos. Erst als sie sich wieder unter Kontrolle hatte, gab sie zu: »Ich weiß nicht, weshalb ich Euch das erzähle. Ich will nur, dass Ihr versteht, weshalb Ihr mich in diesem Zustand seht. Es tut mir leid.«
»Ihr wollt gar nicht fort?«
Stille. Viriotali konnte kaum glauben, dass er diese Frage überhaupt stellte. Schließlich, nach einer Handvoll zitternder Herzschläge, drehte Sumelis abermals den Kopf, diesmal, um den Helvetier erneut anzusehen.
»Doch!«, sagte sie fest. »Ich möchte fort. Es gibt keinen Grund mehr für mich, hier zu bleiben. Schafft mich hier weg, Viriotali, wenn Ihr könnt. Bitte!«
Einen Moment lang war der Krüppel versucht, rundheraus abzulehnen. Sumelis anzuschreien, er hätte den Plan geändert, verworfen. Er fühlte sich verraten, obwohl er wusste, wie unsinnig dieses Gefühl war. Immerhin hatte sogar er bemerkt, wie sie Nando immer angeschaut hatte. Auf eine Art, wie sie ihn, Viriotali, niemals anschauen würde. Keine Frau. Niemals.
Narr, Narr, Narr!, toste es durch seinen Kopf. Wie viel Dummheit konnte in diesem erbärmlichen Körper denn noch stecken? Er war eine lächerliche Gestalt. Jämmerlich! Ein verdammter Krüppel – außen wie innen.
Ein Teil seiner Anklagen musste sich in seiner Miene spiegeln, denn Sumelis drückte seine Hand. »Bitte«, flüsterte sie. »Ihr seid der Einzige, der jetzt noch auf meiner Seite steht.«
Sie sprach nicht weiter, aber das war auch nicht nötig. Er war tatsächlich der Einzige, der ihr jetzt noch helfen würde. Auch wenn er in allem anderen immer der Letzte sein würde. Und Viriotali wusste, wenn er Sumelis jetzt im Stiche ließe, wäre er für ewig nicht nur äußerlich, sondern auch in seiner Seele ein Krüppel.
»Also gut.« Seine Hand sank herab und griff resolut nach der rauhen Decke. »Verhaltet Euch still!«, befahl er, dann zog er die Decke über Sumelis’ Scheitel, bis kein einziges Haar mehr darunter hervorschaute.
Es war nicht schwer, die wenig später erscheinende Novizin davon zu überzeugen, dass Sumelis auf einen anderen Wagen gebracht worden sei, zumal dieser hier leer und zu den Versorgungswägen geschafft werden solle. Ja, er würde ihn selber lenken. Wo Sumelis denn sei? Dort, der Wagen, der sich gerade einreihte, mit den zwei kleineren Ochsen, dort könne sie sie finden. Und er hätte leider beim Umladen den Becher verschüttet, ob das Mädchen losrennen und einen neuen Trank beschaffen könne? Sie könnte den Becher Sumelis dann hinterhertragen, bei dem langsamen Tempo wäre es bestimmt kein Problem, den Wagen einzuholen.
Die Novizin eilte davon. Der Krüppel gestattete sich ein zufriedenes Durchatmen, ehe er sich auf dem Wagenbock niederließ und die Zügel aufnahm. Einen Moment später setzten sich die Räder quietschend in Bewegung. Viriotali lenkte den Wagen aus der Spur der anderen heraus nach Norden. Winkend grüßte er umherrennende Kinder, schrie Entschuldigungen, wenn Fußgänger oder Reiter ihm ausweichen mussten, und erreichte bald schon die Versorgungswägen mit dem Getreide. Dort wartete Viriotalis Diener mit einem kleineren Pferdegespann versteckt zwischen zwei Karren, die bis oben hin mit Gerste beladen waren. Bei all der Hektik, die hier herrschte, achtete niemand darauf, wie Sumelis aus dem Wagen schlüpfte und auf den kleineren kletterte, wo Viriotali sogleich erneut eine Decke über sie warf. Kurz darauf ratterte der kleine Wagen erheblich schneller als der erste los, querte den nordöstlichsten Rand des Lagers, wo die ärmsten Fußkämpfer mit ihren Sippen ihre notdürftigen Behausungen abbauten und ihre armseligen Habseligkeiten auf Handkarren und Zuggestellen verstauten. Niemand gönnte dem Krüppel und seinem Diener auf dem knarrenden Wagen mit der unauffälligen alten Mähre davor auch nur einen zweiten Blick. Unterdessen gesellten sich zwei weitere Reiter zu ihnen – zwei der wenigen verbliebenen Tiguriner, die den Kimbernzug bis in die Ebene begleitet hatten und Viriotali und Sumelis auf ihrer Flucht beschützen würden. Der Krüppel begann zu pfeifen.
Als sie sich einreihten in eine kurze Schlange, die darauf wartete, einen Bachlauf auf einer schwankenden Balkenbrücke zu überqueren, holten Rascils Schergen sie ein.
»Glaubt mir, Krüppel, ich war selten so gespannt auf eine Erklärung wie jetzt.«
Es war der spöttische Unterton, aufgrund dessen der Krüppel den Kopf noch ein wenig tiefer zwischen die Schultern zog. Wenn Boiorix spottete, floss meistens kurz darauf Blut,
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