Der Fluch der Druidin
Sprössling verliebt.«
»Im Ernst? Er ist doch noch keine fünfzehn!«
»Er ist reif für sein Alter.«
Talia schnaubte. »Sagst du!«
»Er hat mich gefragt, ob ich heute Abend zu ihm kommen könnte. Er will mit mir sprechen. Von Mann zu Mann.«
Talia versteifte sich.
»Er wird dir schon noch selbst erzählen, um welches Mädchen es sich handelt«, fügte Atharic eilig hinzu. »Es wird noch nichts Ernstes sein.«
Doch Talia winkte ab. Die frisch erblühenden Schwärmereien ihres Sohns waren nicht der Grund, weshalb sie zusammengefahren war. Atharics Augen folgten der Richtung, in die sie wies, an der Rinderweide vorbei, wo der Weg zum Dorf über eine Anhöhe verschwand. Talia hatte eine Bewegung gesehen, Sonnenlicht auf einem dunklen Kopf, dazu das Ziehen in ihrer Schläfe …
»Sie ist zurück«, hauchte sie.
Sofort stand Atharic neben ihr. Zunächst konnte er nichts erkennen, denn die Weide lag etwas tiefer. Dann tauchten zwei Scheitel auf: ein hellerer und eine rostfarbene Haube, die jede Haarsträhne darunter verbarg. Mit jedem Schritt wuchsen die dazugehörigen Körper in die Höhe, Stirn, Kopf, Hals, ein Paar in bequemen Reisekleidern. Ein hagerer Mann, ein Fremder, daneben eine große Frau. Sie bogen nicht zu den Häusern des Gehöfts ab, sondern gingen zielstrebig weiter, direkt auf ihn und Talia zu. Die Frau winkte, als sie näher kamen, bald waren ihre Gestalten ganz zu erkennen, Gesichter schälten sich heraus. Atharic griff nach Talias Arm.
»Götter!«, keuchte er. »Das kann nicht wahr sein!«
Talia spürte Atharics Griff kaum. Sie stand vollkommen still, wie erstarrt. Wenn es einen Raum zwischen den Zeiten gab ähnlich dem zwischen den Welten, so war sie in diesem gefangen. An einem Ort, wo Vergangenheit und Gegenwart in einem irren Tanz um sie wirbelten, lachten. Wo Hoffnung, Freude und alter Hass eins wurden. Und an diesem Ort war es beinahe gleichgültig, dass ihre Tochter endlich zu ihr zurückgekehrt war.
»Er sieht aus wie …«
Talia schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht, dass Atharic den Namen aussprach, nicht jetzt. Atharic verstummte und zog seine Hand zurück. Er sah sie seltsam an, aber Talia hatte keinen Blick für ihn, nicht einmal für Sumelis oder ihren Gefährten. Talia hatte nur Augen für das vier Jahre alte Kind an Sumelis’ Hand, das seine Mutter mit heller Stimme etwas fragte und auf ihre lächelnde Antwort hin ebenfalls aufgeregt zu winken begann.
Ein kleiner Junge, auf dessen schwarzen Haaren und in dessen grasgrünen Augen sich die Sonne brach.
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Anhang
Nachwort zum historischen Hintergrund
D er Fluch der Druidin
erzählt das Ende der Kimbern bis zu ihrer letzten Schlacht auf den Raudischen Feldern gegen die Römer in der Poebene Oberitaliens. Die Schlacht von Vercellae 101 v.Chr. markierte dabei das Ende einer ca. zwanzig Jahre währenden Wanderung durch halb Europa:
Um 120 v.Chr. zogen germanische Stämme aus dem Norden Deutschlands und Dänemarks die großen Flüsse entlang nach Süden. Im Bereich des heutigen Böhmen wurden sie der Überlieferung nach von den Boiern, einem keltischen Stamm, abgewehrt. Daraufhin wanderten sie weiter bis in den Raum des ehemaligen Jugoslawien und Österreich. 113 v.Chr. schlugen sie die Römer bei Noreia (wahrscheinlich Kärnten), von dort wandten sie sich den Helvetiern zu. Ihr Weg in die Schweiz führte die Kimbern dabei durch das von keltischen Vindelikern bewohnte Süddeutschland. Dieser Einfall auf süddeutschem Boden lieferte den Hintergrund für die dramatischen Ereignisse am Ende von
Die Druidin,
dem Vorgängerroman, der Talia und Atharics Geschichte erzählt.
Der Fluch der Druidin
spielt zehn Jahre später. Die Kimbern und Teutonen – Letztere schlossen sich nach Auffassung einiger Gelehrter etwas später den Kimbern an – hatten mittlerweile halb Europa durchquert: Von den Helvetiern zogen sie nach Gallien, in das heutige Frankreich, sogar die Iberische Halbinsel erreichten sie. Es kam zu Schlachten, allen voran die siegreiche Schlacht bei Arausio gegen die Römer 105 v.Chr. Drei Jahre später teilte sich der Zug: Die Teutonen wählten die Westroute über Südfrankreich, um von dort nach Italien einzufallen. Die Kimbern zogen durch Süddeutschland über die Alpen bis in die Poebene; die Römer versuchten vergebens, sie aufzuhalten. An dieser Stelle, dem Zangenangriff auf Italien und dem Scheitern der römischen Verteidigung gegen die Kimbern an der Etsch, setzt
Der Fluch der Druidin
ein.
Die
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