Der Fluch der Druidin
die Mysterien der Seelenwanderung, daher nahmen die Menschen hier Talias Begabung mit Interesse und Respekt zur Kenntnis, nicht aber mit jener von den Druiden genährten Angst und dem Neid, die Talia in ihrem eigenen Volk erfahren hatte. Die meisten zogen es vor, sich an ihre eigenen Priesterinnen zu wenden, wenn sie Probleme hatten. Talia war das nur recht: Sie hatte niemals vorgehabt, als eine Art absonderliche Druidin unter den Stämmen des Nordens zu leben.
Jenseits des Gehöfts, am Waldrand, gingen Atharics Gedanken in eine ganz ähnliche Richtung, nur reichten sie weiter in die Vergangenheit zurück. In letzter Zeit erinnerte er sich häufiger an die ereignisreichen Jahre, in denen er und seine Männer zusammen mit den Kimbern gezogen waren: an den Boiern vorbei, zu den Norikern, Tauriskern und Skordiskern auf der anderen Seite des Gebirges, dann den Danuius entlang zurück bis in das Gebiet der Vindeliker. Manchmal dachte er an seine erste Frau, die ihn für einen tauriskischen Fürsten verlassen hatte, und an ihre gemeinsamen Kinder, die er nicht wiedersehen würde, und dann sah er Talia, Vebromara und Hari an, dachte an Sumelis, und ihm wurde bewusst, wie viel Glück er trotz all des Leids, das sein Volk erfahren hatte, gehabt hatte.
Atharic war vor fast zwanzig Jahren, als die Kimbern beschlossen hatten, ihr Land im Norden zu verlassen und ihr Glück im Süden zu suchen, als Söldner in Carans Dienste getreten. Er hatte Talia getroffen und – obwohl er Frau und Kind hatte – eine Liebesbeziehung mit ihr angefangen. Er hatte nicht gewusst, dass sie schwanger gewesen war, als er sie verlassen hatte, um sich mit seinem Rabenvolk den Kimbern anzuschließen. Damals hatte er nicht geglaubt, dass er sie jemals wiedersehen würde. Doch es war anders gekommen, und als sie sich schließlich wieder begegnet waren, acht Jahre später, hatte Talia eine siebenjährige Tochter gehabt: Sumelis.
Das Mädchen hatte sein Herz im Sturm erobert.
Die Erinnerung an seine erste Begegnung mit Sumelis ließ Atharic unwillkürlich lächeln. Sie war wild gewesen, selbstbewusst und voller Neugierde. Sie hatte die Sicherheit eines Kindes gehabt, das wusste, dass es geliebt wurde und geliebt werden würde. Diese Sicherheit hatte sie niemals verloren, und sie machte sie umso unwiderstehlicher. In dieser Hinsicht war sie ganz anders als ihre Mutter. Talia hatte schon als Kind gelernt, dass Liebe nicht selbstverständlich war.
Was im Grunde nur heißt, dass man Talia immer wieder erobern muss.
Atharic griff nach Nagel und Hammer und gestattete sich ein erwartungsvolles Grinsen.
Als Atharic an diesem Abend von der Weide nach Hause kam, sah er gerade noch die Enkelin seiner Tante um die Hausecke verschwinden. Die fröhliche, etwas beleibte Anfang Dreißigjährige war Talias beste Freundin. Sie lebte zusammen mit ihrem Mann und ihren vier Kindern auf dem angrenzenden Gehöft. Ihr ältester Sohn war Atharics Lehrling bei der Pferdezucht und wertvollste Hilfe.
»Was wollte sie?«, fragte er, als er das Wohngebäude betrat und sein grobes Überhemd, das er stets bei der Feldarbeit trug, an einen Haken an der Tür hängte. »Ist etwas passiert?«
Talia zuckte mit den Achseln. Sie hatte sich Vebromara auf die Hüfte gesetzt und rührte mit der freien Hand in einem großen Topf, aus dem es verführerisch duftete.
»Männerprobleme.«
»Was ist es diesmal?«
»Er hat ihr seit Tagen versprochen, die undichte Stelle im Dach zu reparieren, es aber nicht getan. Er war auch kaum zu Hause. Gestern hat er dann den ganzen Nachmittag beim Schmied verbracht und sich mit ihm zusammen völlig betrunken. Sie musste ihn abholen und nach Hause schleppen. Daraufhin hat sie den ganzen Tag nicht mehr mit ihm gesprochen, und jetzt ist er abgezogen, um woanders zu schlafen. Er hat ihr gesagt, sie sei schlimmer als seine Mutter und sie könne sich ja einen anderen suchen, wenn sie meine, einen Besseren zu finden.«
»Er ist also wütend auf sie?«
»Ja, eine Frechheit, nicht wahr? Erst benimmt er sich so« – Talia wedelte mit der Fleischgabel in der Luft herum, bis Soße durch die Luft flog und zischend in der Glut der Kochstelle verdampfte –, »und dann glaubt er auch noch, wütend sein zu dürfen!«
»Weiß er, weshalb sie nicht mehr mit ihm gesprochen hat?«
»Natürlich! Das liegt doch auf der Hand!«
Atharic verdrehte die Augen und nahm seiner Frau das kleine Mädchen ab, um es von der durch die Luft sausenden Fleischgabel und
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