Der Fluch der Druidin
spritzenden Soße in Sicherheit zu bringen.
»Ich bin sicher, er hat überhaupt keine Ahnung, was überhaupt los ist. Bestimmt hat er vergessen, dass er das Dach reparieren wollte.«
»Wenn ihm der Regen aufs Abendessen tropft?«
»Außerdem weiß ich, dass der Schmied gestern das Schwert für ihn fertiggestellt hat. Wahrscheinlich wollten sie das einfach begießen.«
»Sie meint, dass er vielleicht eine Geliebte hat.«
»Ich habe ihn gerade getroffen. Er sagte, er müsse im Stall schlafen. Seine beste Sau kann jeden Tag werfen.«
»Mmh.«
Atharic bemühte sich vergebens, sein Glucksen zu unterdrücken. Er setzte Vebromara ab und sah zu, wie sie zu ihrem Bruder rannte, der gerade einen Eimer Wasser herbeischleppte. »Es ist doch immer das Gleiche mit euch Weibern: Erst sagt ihr nicht, was los ist, dann steigert ihr euch in das Ganze hinein. Und wenn wir nicht sofort erraten, was euch verärgert hat – womöglich weil wir einfach vergessen haben, was wir vor drei Monaten einmal gesagt haben –, beginnt ihr damit, euch irgendwelche Dinge einzureden und alles, was wir sagen oder tun, zum Schlechten zu interpretieren. Nur damit ihr in eurem Zorn auf uns auf jeden Fall im Recht seid!«
»Spricht da der Frauenkenner?«
»Schau dich doch an: Deine Geschichte mit Caran wäre auch ganz anders verlaufen, wenn du ihm von Anfang an gesagt hättest, dass du seine Tochter bist.«
Das ließ Talia einen Moment lang verstummen. Sie hatte sich damals als Haushaltshilfe auf Carans Hof eingeschlichen, ohne ihm zu sagen, wer sie in Wahrheit war. Er hatte sie für tot gehalten, und sie hatte geglaubt, dass er sie als Kind hatte töten lassen wollen. Sie hatte ihn gehasst, und ja, Atharic hatte recht: Alles, was Caran damals getan hatte, hatte Talia ihm schlecht ausgelegt. Erst acht Jahre später hatte sie erfahren, wie viel Unrecht sie ihm damit getan hatte. Es war eine Lüge gewesen, dass ihr Vater ihren Tod befohlen hatte, eine Intrige, eingefädelt von Carans machtbesessener Schwester, die gewollt hatte, dass Caran ohne Erben starb.
Caran hatte sie geliebt. Auch jetzt nach all den Jahren breitete sich Wärme in Talias Brust aus, wenn sie an ihn dachte. Wie anders wäre ihr Leben wohl verlaufen, wenn sie vom ersten Tag an offen ihm gegenüber gewesen wäre? Wie viel Bitterkeit sie sich selbst erspart hätte!
Atharic merkte, wie ihr Gesicht sanfter wurde. »Wenn ich mir vorstelle, dass es zwischen Sumelis und mir solche Geheimnisse gäbe …« Er sprach den Satz nicht zu Ende. Dennoch riss das Gesagte Talia aus ihren Gedanken wie ein Schwall kalten Wassers ins Gesicht. Unbekümmert fuhr Atharic fort: »Es ist schön zu wissen, dass nichts zwischen Sumelis und mir steht und dass wir über alles reden können. Von Vater zu Tochter.«
Atharic drehte sich um, und so sah er den schuldbewussten Ausdruck, der über Talias Gesicht huschte und das Leuchten ihrer goldbraunen Augen dämpfte, nicht mehr. Ihr Blick folgte Atharic, als er zu den Kindern hinüberging und Hari mit dem schweren Wassereimer half.
Gedankenverloren griff Talia erneut nach ihrer Fleischgabel und stocherte damit in dem Topf herum. Die Schatten der Vergangenheit nutzten den Moment, um sich zu erheben und aus ihren Gräbern zurückzukehren in das Licht und die Wärme, die die Glut verbreitete, zum Lachen ihrer Kinder und ihres Mannes, die in ihrem Rücken herumalberten. Wieder einmal dachte Talia daran, dass sie Atharic schon längst die Wahrheit hätte sagen müssen. Er verdiente sie. Er war stark genug, sie zu ertragen und sie – Talia und Sumelis – dennoch zu lieben. Talia war sich nur nicht sicher, ob sie selbst stark genug war. Stark genug, um den Gespenstern von einst ins Gesicht zu blicken und sie wieder in ihr Leben zu lassen.
Er ist ihr Vater in allem, was wirklich zählt! Sumelis hat ihre Wahl getroffen. Er ist der einzige Vater, den sie immer wollte. Für sie gibt es nur ihn!
Die halbherzige Rechtfertigung überzeugte nicht einmal Talia selbst.
Wir haben ihn nie belogen. Wir haben niemals behauptet, es sei sein Samen gewesen.
Er hatte es einfach angenommen. Es war nicht seine Schuld, denn er hatte allen Grund dazu gehabt. Und er hätte es tatsächlich auch sein sollen. Wenn die Götter einen Funken Gnade in sich tragen würden, hätten sie es Atharics Samen sein lassen, der Sumelis das Leben schenkte.
Nicht Dagos.
2 . Kapitel
E s war der vierte Tag, den sie in diesem halboffenen Verschlag verbrachte, gefesselt auf dem Boden mit Blick auf
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