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Der Fluch der Druidin

Der Fluch der Druidin

Titel: Der Fluch der Druidin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Jaeckel
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unausgesprochenes Versprechen von Sicherheit, so war Nando das Gegenteil: Nando war wie das Eis im Inneren eines Felsen. Bereit, den Stein um sich herum jeden Moment zu zerreißen.
    »Hast du viele Menschen getötet?« Die Frage entschlüpfte ihr, bevor sie sich auf die Zunge beißen konnte.
    Nando starrte sie an, dann senkte er den Blick auf seine Hände. Diesmal musste Sumelis ihn nicht berühren, um zu sehen, wie in dem erstarrten Meer unter den finsteren Wolken, das seine Seele war, jäh etwas aufflackerte, um gleich darauf zu ersterben. Unwillkürlich hielt sie den Atem an.
    »Wenn ich barmherzig war.«
    Die Nacht war kälter als die vorangegangenen, daher war es gut, dass sie in Bewegung blieben. Der Atem der Pferde kondensierte in kleinen Wolken vor ihren Nüstern, ein dünner Nebel, der im hellen Mondlicht schnell zerfaserte.
    Es war nicht schwer, den Weg zu finden, auch wenn er keine Straßen, sondern lediglich Wildwechsel und am Rand brachliegender Felder entlangführte. Nando war ihn am Tag zuvor geritten, und einem Weg, den er einmal gegangen war, würde er auch in einer viel dunkleren Nacht als dieser folgen können.
    Die Nacht war zur Hälfte vorbei, als Nandos Stute die Ohren anlegte und ihr Schweif warnend durch die Luft peitschte. Sumelis’ Pferd, das der Stute zu nahe gekommen war, blieb stehen und warf erschreckt den Kopf in den Nacken. Die Bewegung brachte Sumelis, die sich tief über den Pferdekopf gebeugt hatte, um den Ästen, die sie unter dem Sack um ihren Kopf herum nicht erahnen konnte, zu entgehen, aus dem Gleichgewicht. Sie rutschte auf dem Pferderücken nach links und zerrte wild an den Zügeln, um sich festzuhalten. Prompt drehte sich das Pony auf der Stelle, dem blinden Zug der Zügel folgend.
    Nando sprang ab, griff mit der einen Hand nach Sumelis’ Arm und mit der anderen nach den Zügeln. Er drehte das Pferd zurück in Laufrichtung, dann sorgte er dafür, dass sein Griff die junge Frau schmerzhaft nach Luft ringen ließ. Der grobe Stoff des Sacks dämpfte den Laut kaum.
    »Ich sehe doch, mit welcher Leichtigkeit du auf diesem Pferd sitzt«, warnte Nando leise, »und das mit gefesselten Händen. Also tu nicht so, als wärst du eine schlechte Reiterin! Wenn du versuchst, unseren Ritt zu verzögern, werde ich dich einfach wie ein Bündel Stroh über das Pferd legen und festzurren. Hast du mich verstanden?«
    Der Kopf unter dem dunklen Stoff nickte. Nando ließ Sumelis’ Arm los. Sie setzten ihren Weg fort.
    Es war eine klare stille Nacht, nur selten unterbrochen vom Schrei einer Eule oder einem Rascheln im Gebüsch. Während Nando den Huftritten des Pferdes hinter sich lauschte, fragte er sich unwillig, wieso er auf Sumelis’ Frage, ob er viele Menschen getötet habe, überhaupt geantwortet hatte. Weil in ihrer Stimme keine Furcht gelegen hatte, als sie sie gestellt hatte? Nando wusste nicht, was genau er in ihrem Tonfall glaubte gehört zu haben, aber Angst war es nicht gewesen. Angst kannte er.
    Wie viele Menschen hatte er getötet? Er erinnerte sich nicht mehr. Irgendwann waren sie zu einer gesichtslosen Reihe geworden, Schemen, die nur aus Haut, Knochen und Blut bestanden, aus Tränen, Schreien und Flehen, bis der Tod ihren Zügen Endgültigkeit verlieh.
    Wie hatten sie ausgesehen? – Bedeutungslos. Eine Pflicht brauchte kein Gesicht außer dem Gesicht dessen, der die Pflicht einfordern konnte. Sie waren wie Äste eines dichten Waldes, die zu weit in die Straße hineingewachsen waren und im Vorbeigehen abgebrochen wurden. Nando empfand keine Befriedigung dabei, wenn überhaupt, erfreute er sich an der Präzision seines Körpers, seiner Hände, die die Waffen führten, und der Schärfe seines Geistes. Er tötete nicht für sich selbst, weder für sein Vergessen noch sein Vergnügen, höchstens für seine Ehre und die Ehre des einzigen Mannes, der die seine verdiente.
    Nando dachte an den ersten Mann, den er getötet hatte. Es war leicht, sich an ihn zu erinnern. Einer der älteren Jungen, an deren Feuer er schlief, hatte eines Abends, an dem dunkle Wolken den Nachthimmel verborgen hatten, damit zu prahlen begonnen, wie viele Krieger er schon im Gefecht getötet hätte. Nando, der Jüngste in der Runde, hatte eine Zeitlang schweigend gelauscht, dann hatte er leise gesagt: »Du lügst. Die Männer, von denen du sprichst, sind von der Leibwache des Königs getötet worden. Du bist erst später gekommen, um ihnen die Stiefel auszuziehen und ihnen die Waffen zu rauben! Du bist mehr

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