Der Fluch der falschen Frage
schüttelte den Kopf. » Ich sitze längerfristig in Schwarz-aus-dem-Meer fest.«
Hectors Augen weiteten sich ungläubig. » Aber du kannst sie nicht allein gehen lassen«, sagte er lauter als beabsichtigt. Prosper Weiss spähte neugierig zu uns herüber und kam hinter der Rezeption hervor.
» Was bleibt mir denn anderes übrig?«, flüsterte ich Hector zu.
» Sie ist nicht einfach nur deine Verbündete, Snicket«, flüsterte er zurück und setzte die Mütze auf. » Sie ist deine Schwester.«
» Das weiß ich selbst«, fuhr ich ihn an, aber er schüttelte nur finster den Kopf und ging zur Tür hinaus. Ich weiß, dass sie meine Schwester ist, wollte ich ihm nachrufen. Denkst du, das weiß ich nicht? Denkst du, ich weiß nicht, dass ich meine eigene Schwester in Gefahr bringe?
» Alles Gute zum Geburtstag noch mal«, sagte ich stattdessen, aber Hector blieb nicht stehen. Möglicherweise beschleunigte er seine Schritte sogar. Prosper Weiss war neben mich getreten, und Seite an Seite sahen wir zu, wie Hector auf die dunkle Straße trat und verschwand.
» Streit mit Ihrem Freund?«, fragte Prosper Weiss, als würde ihn das irgendetwas angehen.
» Nein, kein Streit«, sagte ich. » Ich habe nur das Falsche gesagt.«
Weiss lächelte sein dünnes Lächeln. » Jeder macht ab und zu mal was falsch.«
Es stimmte. Jeder machte ab und zu etwas falsch. Es stimmte, aber es gefiel mir nicht. Ich nickte und ließ ihn stehen. Die Frauenstatue sah mich an, als hätte sie gern mit den Achseln gezuckt, wenn sie nur Arme gehabt hätte. Ich zuckte für sie mit und dachte an die andere Statue, die der Bordunbestie, und an den Schurken, der sie in seine Gewalt bringen wollte. Ich dachte an die zerfallende Stadt und an das verschwundene Meer. Ich dachte an Ellington Feints grüne Augen und die fragezeichenförmigen Brauen über diesen Augen. Von wegen ab und zu. Ich hatte auf der ganzen Linie falschgelegen, jedes einzelne Mal. Alles hatte ich falsch gedeutet, jeden einzelnen Hinweis rund um dieses tintenschwarze Rätsel, das über mir und allen anderen hing. Das Wort zischelte in meinem Kopf wie der Seetang – falsch, falsch, falsch. Ich hatte alles falsch gemacht, dachte ich, aber wenn ich nur lange genug hier in der Stadt ausharrte, konnte ich es vielleicht wieder richten.
Lemony Snicket
hat eine eher verwirrende Jugend gehabt und dann eine ungewöhnliche Ausbildung genossen, worauf eine verzweifelte Zeit als Erwachsener folgte. Seine früheren Berichte und Forschungen wurden zusammengetragen und als Bücher veröffentlicht, unter anderem in der Serie » Eine Reihe betrüblicher Ereignisse«. » Meine rätselhaften Lehrjahre« ist seine erste autorisierte Autobiographie.
Seth
kennt sich aus mit Städten, die ihre Glanzzeit längst hinter sich gelassen haben. Er ist ein mehrfach ausgezeichneter Comiczeichner, Autor und Künstler von Werken wie »Palookaville«, »Clyde Fans« und »The Great Northern Brotherhood of Canadian Cartoonists«. Er lebt in Guelph, Kanada.
Weitere Informationen auf www.lsatwq.com.
www.goldmann-verlag.de
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