Ich geh jetzt in dein Karma rein
♈ ☿ Prolog ♊ ♋
Frohe Weihnachten!
Draußen war es dunkel und kalt.
Es war der 24. Dezember.
Heiligabend.
Gegen 23 Uhr kam ich nach Hause. Natürlich hatte ich mit meiner Familie gefeiert und mir den Bauch eindeutig zu voll geschlagen. Es zwickte, als ich mich auf einen Stuhl fallen ließ und meinen Computer anschaltete. Das elektronische Startsignal erklang. Ich blinzelte, die Helligkeit des Bildschirms blendete mich. Ich gab das Passwort ein, um meine E-Mails abzurufen.
Und da warteten sie schon.
17 angeforderte Rückrufe in Abwesenheit.
Das waren meine Kunden, denen es genau vor diesem Fest gegraut hatte. Und dieses Fest erstreckte sich auch noch über drei lange Tage, dicht gefolgt von Silvester. Während dieser Zeit hatten Kartenleger und Konsorten Hochkonjunktur. Ich hätte die kommenden Tage ohne Pause durcharbeiten können. Meine Stammkunden waren wild entschlossen, jeder Wirtschaftskrise zum Trotz, sich für zwei Euro fünfzig in der Minute in die Sterne schauen zu lassen.
Im Oktober hatten mir die ersten Anrufer davon erzählt, wie schwer ihnen Weihnachten und Silvester jetzt schon im Magen lagen. Für mich waren die Feiertage damals noch meilenweit entfernt gewesen. Doch meine Kunden hatten sich bereits fest vorgenommen, dass es dieses Jahr an Weihnachten besonders schrecklich für sie werden würde, und diese Erwartungshaltung wollten sie sich unter keinen Umständen von mir ausreden lassen.
Ich klickte auf eine Nachricht.
Liebe Bianca, ich wünsche dir und deiner Familie frohe Weihnachten und alles Gute und Liebe. Ich möchte dich eigentlich gar nicht an Weihnachten behelligen, aber es wäre schön, wenn du ein paar Minuten Zeit für mich erübrigen könntest. Mein Limit bei der Line ist allerdings aufgebraucht für diesen Monat, weil ich dich doch erst letzte Woche angerufen habe. Ich könnte also nur anonym über die 0900er-Nummer anrufen. Falls du Zeit hast, dann schalte dich doch bitte dort frei. Ich gucke alle zehn Minuten, ob du da bist.
Drücke dich ganz lieb!
Rosi
Rosi war eine Stammkundin von mir. Eine ältere Dame, die sich unsere Telefonate von ihrer überschaubaren Witwenrente abknapste. Sie war stets gut gelaunt, wenn sie mich anrief, und erzählte mir Geschichten von früher. Rosi genoss unsere Gespräche, und nicht selten trank sie dabei ein Glas trockenen Weißwein. Während unserer Telefonate schaute Rosi immer mit einem Auge auf die Uhr, und wir beendeten unsere Unterhaltungen jedes Mal nach exakt zehn Minuten.
»Wird sonst zu teuer«, sagte sie stets. Und das zu Recht.
Ich mochte Rosi und konnte ihr ihren Wunsch an Heiligabend unmöglich abschlagen.
Ich holte mir ein Glas Wasser aus der Küche, tippte meine Beraterdaten ein und schaltete mich online. Wenig später klingelte mein Telefon. Ein anonymer Anrufer. Erst dachte ich, das wird wohl Rosi sein. Doch auf einmal überkam mich eine ungewöhnliche innere Anspannung. Mein Finger lag unschlüssig auf dem Knopf mit dem grünen Hörer, den ich schon Tausende Male gedrückt hatte. Was ein Quatsch, beruhigte ich mich, ist doch nur Rosi. Ich schüttelte den Kopf, tippte auf die Taste und nahm das Gespräch entgegen.
Ich: »Einen schönen Heiligabend, hier ist die Bianca. Was kann ich für dich tun?«
Anruferin: »Ja … hier ist die Sigrid. Wir haben noch nicht gesprochen.« (Schweigen)
Sigrids gleichgültige Stimme war wie ein Tritt in meinen gut gefüllten Magen. Prost Mahlzeit! Ich kannte solche Anrufe zur Genüge und stellte mich auf ein schwieriges Gespräch ein. Als alter Berater-Hase ließ ich mir jedoch nichts anmerken.
Ich: »Hallo Sigrid. Ich freue mich, mit dir zu sprechen. Wie geht es dir?«
Anruferin: »Schlecht.« (Schweigen)
Ich hatte das Gefühl, ihr versteinertes Gesicht durch das Telefon sehen zu können.
Ich: »Was ist passiert? Wie kann ich dir helfen?«
Meine Stimme war betont ruhig, und ich gab mir Mühe, besonders empathisch zu sein.
Anruferin: »Ich möchte gerne wissen, wie es mit meinem Freund weitergeht.«
Die Kundin überging meine erste Frage und stellte eine Gegenfrage, ein eindeutiger Anhaltspunkt für mich, dass ich es hier mit einer routinierten Astro-Line-Ratsuchenden zu tun hatte. Die anderen Kunden wären auf meine erste Frage eingegangen.
Ich: »Gut. Ich mische nun die Karten, und du konzentrierst dich bitte ganz stark auf deinen Freund und gibst mir dann aus dem Bauch heraus ein Stopp.«
Anruferin (nach 1 Sekunde): »Stopp.«
Ich hatte die Karten kaum gemischt. Sigrid
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