Der Fluch der Hebamme
Frau nehmen konnte, die ihm einen Erben gebar. Das war alles nur eine Frage des Geldes.
Die Schande, verstoßen zu werden, wäre so groß, dass auch ihr Vater sie nicht mehr aufnehmen würde.
Bliebe nur das Kloster – doch sie wollte dieses eintönige Leben nicht, ohne schöne Kleider, edle Pferde, Festmahle und Spielleute, ohne funkelndes Geschmeide und lange Reisen, auf denen sie wie eine Königin behandelt wurde. Endlose Gebete, gefangen zu sein hinter dicken Mauern, die nichts von der aufregenden Welt da draußen durchdringen ließen, dünne Kleider aus rauhem Stoff und karges Essen – schon der Gedanke daran ließ sie frösteln.
In ihren finstersten Momenten hatte Sophia sogar darüber nachgedacht, sich von einem der Männer am Hof schwängern zu lassen, die bereits viele Söhne gezeugt hatten. In Gedanken war sie schon durchgegangen, wer dafür in Frage kam. Doch von keinem hätte sie eine Berührung ertragen können – und vor allem traute sie keinem von ihnen zu, dass er über diese Angelegenheit auch Stillschweigen bewahren würde.
Vielleicht würde die Heilige Jungfrau Maria sie endlich erhören und ihr einen Sohn schenken. Doch wenn Lucardis einen Sohn gebar und Albrecht ihn als seinen Bastard anerkannte, dann war sie ernsthaft in Gefahr.
Sie musste handeln. Zum Glück war sie vorbereitet … für alle Fälle.
Von unruhigen Gedanken und Ahnungen getrieben, wartete Marthe in Hedwigs und Ottos Kammer auf die Rückkehr des Markgrafenpaares.
Lukas und sie waren wie die meisten Edelleute aus dem Gefolge der angereisten Fürsten in einer riesigen Halle aufs beste beköstigt worden. Dass es eine erzwungene Aussöhnung zwischen dem alten und dem künftigen Markgrafen von Meißen gegeben und der König zu einer Heerfahrt gegen den gebannten Welfenfürsten gerufen hatte, wussten sie längst. Diese Neuigkeiten waren schnell zu ihnen gedrungen.
Vor dem Mahl hatte Marthe auch von weitem einen Blick auf Otto werfen können. Die Gelegenheit dazu war schon am Morgen mit Hedwig abgesprochen. Wenngleich sich der siebzigjährige Fürst vor den anderen gelassen und unberührt von den Geschehnissen gab, so erkannte Marthes geübter Blick die Anzeichen dafür, dass es ihm besorgniserregend schlecht ging.
Im Zorn hatte Otto schon immer dazu geneigt, sich rasch und heftig aufzuregen. Doch jetzt war er hochrot im Gesicht, und die Schweißperlen auf seiner Stirn trotz der Oktoberkälte in den Mauern und die heftig pochende Zornesader an der Schläfe ließen sie Schlimmes befürchten.
»Er muss zur Ader gelassen werden, sonst trifft ihn der Schlagfluss«, sagte sie erschrocken zu Lukas.
Normalerweise hielt sie wenig davon, den Aderlass gegen jedes Leiden einzusetzen, wie es die Bader und auch viele Ärzte taten. Doch in diesem Fall schien ihr dies das beste Mittel, weil es schneller wirkte als die Beruhigungstränke, die sie brauen konnte und schon bereithielt.
Lukas hatte zwar vorgehabt, sich nach dem Mahl unter den Rittern umzuhören, ob jemand von ihnen Nachricht von den Pilgerfahrern hatte, die mit dem Kaiser ins Heilige Land unterwegs waren, oder etwas Zeit mit Daniel zu verbringen, der unter Hartmuts Obhut mit den Knappen zum Hoftag gereist war. Doch beides verschob er sofort auf später. »Ich suche jemanden, der so etwas kann. Vielleicht lässt man mich sogar mit dem Leibarzt des Königs sprechen!«
Wenn ein Ritter um Hilfe für seinen Fürsten bat, würde man ihn wohl kaum an einen der Scharlatane verweisen, die sich mit dem Ziehen von Zähnen als Jahrmarktsbelustigung ihr Brot verdienten.
Seitdem war schon so viel Zeit verstrichen, dass es Marthe wie ein halbe Ewigkeit vorkam. Warten und Nichtstun gehörten zu den Dingen, die sie nur schwer ertragen konnte.
Endlich ging die Tür auf, und Lukas trat in Begleitung eines hochgewachsenen Mannes in einem fremdartigen Gewand ein – aus nachtblauer Seide und mit verschlungenen Ornamenten an den Ärmelkanten und um den Halsausschnitt.
Verdutzt blickte er sich um, da es in dem Zimmer offenbar an jemandem fehlte, der dringend seine Dienste benötigte.
»Soll das ein Scherz sein?«, fragte er mit gerunzelter Stirn. »Dann lasst Euch sagen, dass dies ein schlechter Scherz ist. Anderswo werden meine Dienste dringend benötigt.«
»Bitte bleibt und wartet hier mit uns!«, hielt Lukas ihn auf. »Ihr werdet großzügig für Eure Dienste belohnt werden.«
In wenigen Worten schilderte Marthe, was sie zu der Entscheidung getrieben hatte, einen Baderchirurgen
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