Der Fluch der Hebamme
Er war gerade dabei, den Pferdeknechten Anweisungen zu geben, als er eine bekannte Stimme nach sich rufen hörte.
Es war sein Schwager Gerald, der aufgeregt durch den Gang gestürzt kam. Etwas sehr Beunruhigendes musste ihn hierherführen, wenn er sich nicht daran störte, den ungeliebten Verwandten und Getreuen des alten Markgrafen um Hilfe zu bitten.
»Meine Frau … sie stirbt … oder sie verliert das Kind«, brachte er ohne jegliche Vorrede hervor. »Kannst du Marthe zu ihr schicken, damit sie hilft?«
Trotz der Verzweiflung seines Schwagers und der schlimmen Neuigkeit übersah Lukas nicht die Gefahr, die in diesem Hilfegesuch lauerte. »Du willst, dass ich meine Frau in Albrechts Quartier schicke?«, fragte er einigermaßen fassungslos.
»Ich stehe für ihre Sicherheit ein«, schwor Gerald sofort. »Ich weiß nicht, wer sonst noch helfen kann. Vergiss den Streit, hier geht es um ihr Leben und um meinen Erben!«
Dem konnte sich Lukas nicht verschließen. »Ich werde fragen, ob Marthe gehen darf und bereit dazu ist. Aber sie kommt nicht ohne meine Begleitung. Warte hier auf uns!«
Erleichtert stimmte Gerald zu, obwohl er seinem Schwager am liebsten gefolgt wäre. Aber er sah ein, dass er jetzt wohl kaum mit der Bitte in Ottos Quartier auftauchen konnte, Lukas’ heilkundige Frau wegen eines Notfalls zu dem abtrünnigen Nachfolger zu schicken.
»Was ist geschehen?«, erkundigte sich Marthe bei Gerald, als sie in Lukas’ Begleitung an der verabredeten Stelle auftauchte.
»Sie erwartet ein Kind«, berichtete er voller Unruhe und Sorge. »Nach dem Frühmahl ist sie plötzlich unter Krämpfen zusammengebrochen. Sie hat sehr viel Blut verloren und würgt sich die Seele aus dem Leib.«
Marthe erwiderte nichts. Sie kannte Lucardis noch aus deren Jungmädchenzeit an Ottos Hof und hatte schon von weitem gesehen, dass sie wieder schwanger war. Wenn Frauen ihr Kind verloren, bluteten sie meistens stark und litten Krämpfe. Doch andauerndes Erbrechen dazu – das sah nach etwas anderem aus.
Lucardis lag am Boden in einer beängstigend großen Blutlache und war von wortlos auf sie starrenden Hofdamen umgeben. Niemand wirkte überrascht, dass ausgerechnet Marthe jetzt hier auftauchte, noch dazu in Begleitung von Lukas. Die verwandtschaftlichen Bindungen und ihr Heilwissen wogen jetzt anscheinend schwerer als die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Lagern.
»Das Kind ist verloren«, sagte eine Magd, die eine Schüssel mit blutverschmierten Tüchern und Erbrochenem hinausschaffen wollte – in der Hoffnung, dass die beiden Ritter wohl ein Einsehen hatten und ihr folgten, denn schließlich hatten Männer nichts an solch einem Ort zu suchen. Hatten die Kerle denn kein bisschen Anstand!
Marthe warf einen prüfenden Blick auf die Schüssel, dann hockte sie sich neben die zusammengekrümmte Frau und fühlte ihren Pulsschlag, der sich kaum noch erspüren ließ. Lucardis’ Haut war fahl und eiskalt. Als Marthe sich über sie beugte, roch sie etwas, das ihre Vermutung bestätigte.
Ohne den Blick zu Sophia zu heben, fühlte Marthe solch tiefen Hass von ihr ausgehen, dass sie genau wusste, wer Lucardis das Pulver in den Becher gegeben hatte, das die Leibesfrucht abstieß.
Aber sie durfte jetzt nicht das Geringste zu erkennen geben, sonst wäre vielleicht Clara die Nächste, die zusammengekrümmt auf dem Fußboden verblutete.
»Holt einen Priester«, sagte sie leise zu Gerald. »Es tut mir sehr leid; ich kann nichts mehr für sie tun.«
Lukas legte seinem Schwager bedauernd die Hand auf die Schulter. Der rührte sich nicht.
Eines der jüngsten Mädchen hastete los, offenkundig froh über den Vorwand, der schrecklichen Umgebung zu entkommen. Als sie mit einem Geistlichen zurückkehrte, gingen alle hinaus, damit die Sterbende unbelauscht ihre letzten Sünden beichten konnte.
Sophia warf einen scharfen Blick auf Marthe und klatschte in die Hände. »Steht hier nicht unnütz im Gang herum, es gibt viel zu tun!«, rief sie den Mädchen und Frauen ihres Gefolges zu.
Sie hatte nicht gewollt, dass ihre Hofdame starb, sie sollte nur die Frucht des Bösen verlieren. Doch Gott hatte entschieden, die Sünderin sterben zu lassen, und Sophia damit die Richtigkeit ihres Tuns bestätigt. Solche verderbten Frauen durften nicht ungestraft auf Erden wandeln.
Ob nun ihr eigenes Seelenheil in Gefahr war? Sie würde von ihrem Wittum neun Hufen Land kaufen und dies und die Andreaskirche von Zadel dem Konvent in Marienzelle stiften,
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