Der Fluch der Hebamme
schwere Kiste aus der Silberkammer herbeitrugen und auf dem Gefährt festzurrten, wagte es niemand, ein Wort oder gar einen Einwand zu erheben.
Nun schien der Tross abreisebereit. Mit angehaltenem Atem warteten die Diener darauf, dass der Fürst mit seinen Begleitern durch das Tor ritt und sie wenigstens vorübergehend von ihm befreit waren. Die meisten hatten inzwischen begriffen, dass dies eher nach einer sorgfältig vorbereiteten Flucht als nach einem der üblichen Umritte aussah. Aber niemand wagte es, das auszusprechen.
Ob der alte Markgraf wiederkam? Dann stand der nächste Ärger bevor, wenn er seinen geplünderten Palas betrat.
Doch bevor Albrecht seinem Pferd die Sporen gab, tat er etwas, womit niemand gerechnet hatte – niemand außer Clara. Er ließ die Wachen rufen, die er vor der Kammer seiner Mutter aufgestellt hatte. Als sie vor ihm antraten, befahl er ihnen ohne weitere Erklärung, sich seinem Gefolge anzuschließen.
Reglos beobachteten die Burgbewohner, wie Albrecht und seine Begleiter durch das Tor und den Burgberg hinunterritten. Ihnen folgten die Ochsengespanne mit den schwerbeladenen Karren. Zwei Fuhrknechte mussten immer wieder Hemmschuhe unter die rollenden Scheibenräder packen, damit die Wagen nicht zu schnell wurden und den abschüssigen Weg hinabstürzten.
Endlich war der Letzte durch das Tor.
Fürst Albrecht hatte den Burgberg verlassen.
Und immer noch wagte es niemand auf dem Hof, sich zu rühren.
Vom Fenster aus hatte Clara Albrechts Strafgericht und seinen Aufbruch mitverfolgt. Kaum war das Gefolge außer Sichtweite, sprang sie auf und lief hinaus, ohne sich um die anderen zurückgelassenen Hofdamen zu kümmern.
Ihre Hoffnung bestätigte sich: Die Tür zu Hedwigs Kammer war nun wirklich unbewacht, zum ersten Mal seit Wochen.
Mit jubelndem Herzen klopfte sie an und trat ein, als sie hereingebeten wurde.
»Ihr seid frei, auf kaiserlichen Befehl!«, rief sie.
Hedwig stand auf und schloss sie in die Arme. Die Markgräfin schien nur auf diesen Moment gewartet zu haben. Nichts an ihr erweckte den Eindruck, die Gefangenschaft – wenn auch unter behaglichen Bedingungen – habe ihr etwas ausgemacht. Selbst das Gebende saß tadellos.
»Dann wollen wir keine Zeit vergeuden!«, sagte Hedwig und schritt hinaus.
Mit ihrer Erlaubnis lief Clara vor, um sich um den Haushofmeister zu kümmern. Der hing blutüberströmt am Pfahl, umgeben von einer Menschentraube, doch niemand wagte sich näher als drei Schritte an ihn heran, nicht einmal seine junge Frau.
»Lasst mich zu ihm«, rief Clara und drängte sich durch die Menge. »Schneidet ihn los und legt ihn vorsichtig auf den Boden!«
»Der Markgraf hat befohlen, ihn bis morgen früh …«, wandte einer der Knechte unbehaglich ein.
Doch in diesem Augenblick zog Hedwigs Erscheinen alle Aufmerksamkeit auf sich.
»Was ist hier los?«, fragte sie laut. »Bindet sofort diesen Mann los, und dann zurück an die Arbeit! Morgen wird
Markgraf
Otto zurückkehren, und es gibt viel vorzubereiten, um ihn würdig zu empfangen!«
Auffordernd klatschte sie in die Hände, sich der Wirkung ihres unerwarteten Auftritts und ihrer Worte voll bewusst.
»Tragt den Haushofmeister in die Kammer, damit die Herrin von Reinhardsberg seine Wunden versorgen kann. Seinen Gehilfen, den Küchenmeister und den Waffenmeister will ich umgehend in der Halle sprechen.«
Ohne sich um den Aufruhr zu kümmern, den ihre Ankündigung unter der Burgbesatzung verursachte, schritt Hedwig erhobenen Hauptes zum Palas.
Guntram und einer der Stallknechte hatten inzwischen den gepeinigten Mann auf den Boden gelegt. Besorgt kniete Clara nieder und suchte an seinem Hals nach einem Pulsschlag. Dann ließ sie den Bewusstlosen in die Kammer tragen, beauftragte eine Magd, ihr einen Eimer Wasser aus dem Brunnen und sauberes Leinen zu bringen, und wies eine andere an, in der Küche Schafgarbe auskochen zu lassen.
Guntram begleitete sie ein paar Schritte und strahlte über das ganze Gesicht. »Morgen kommt Fürst Otto zurück. Das wird ein Fest!«
Mit der ihr eigenen Tatkraft übernahm Hedwig die Zügel im markgräflichen Palas, um alles für die Rückkehr ihres Gatten vorzubereiten. Durch nichts ließ sie erkennen, dass es einen dermaßen unerhörten Vorfall in ihrer Familie gegeben hatte, bei dem sogar der Kaiser noch während seiner Reise ins Heilige Land einschreiten musste. Und schon gar nicht ließ sich Hedwigs Auftreten entnehmen, ob nun mit Ottos Rückkehr ein
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