Der Fluch der Hebamme
sie beten. Euer schnelles Handeln hat ihm vielleicht das Leben gerettet.«
»Wenn ich ehrlich sein soll – mir war nicht besonders wohl dabei«, gestand Thomas. »Aber der Feldscher war noch beschäftigt, und der Junge wäre sonst vielleicht gestorben.«
»Es gab zu viele Tote letzte Nacht, und wer weiß, wie viele von den Verwundeten ihnen noch folgen. Möge der Herr ihnen Heilung schenken!« Der kleine Mönch bekreuzigte sich.
»Ein Leben gerettet, zwei genommen«, murmelte Thomas.
»Seid Ihr nicht deshalb auf diesem Weg?«, fragte der Benediktiner, der sofort begriff, was der junge Ritter damit meinte. »Ich vermute, man hat Euch großzügig Absolution erteilt dafür, dass Ihr zwei Wegelagerer getötet habt.«
»Das schon …«
Thomas schluckte hinunter, was er hätte sagen wollen, und kam lieber auf etwas anderes zu sprechen. »Weshalb bist du eigentlich auf dieser Reise, Bruder, wenn du mir diese Frage erlaubst? Als ich dich zum ersten Mal sah, dachte ich: Du passt gut in ein Kloster, aber nicht in diese rauhe Kriegswelt.«
Der junge Mönch mit der schiefen Tonsur lächelte wehmütig. »Da wäre ich auch gern geblieben und hätte irgendwann mit Gottes Hilfe das Amt des Infirmarius oder des Klostergärtners übernommen. Aber mein Abt hat mich auf diesen Weg gesandt, damit ich selbst die Antwort auf eine Frage herausfinde, die er im Kapitelraum nicht hören wollte.«
»Und was war das für eine Frage?«
Vor der Antwort kam ein Seufzer aus tiefstem Herzen. »Es ging um die Schrift eines englischen Geistlichen, der besonders in den Fragen der Rechte bewandert ist. Der weise Radulf meint, Gott wolle kein Blutvergießen und auch nicht, dass Sarazenen getötet werden. Ebenso wenig könne Sündenablass für Kreuzfahrer im Sinne Gottes sein, denn erst müssten die Sünder ihre Sünden abgebüßt haben, bevor Gott ihnen vergeben kann.«
»Und das hat deinem Abt so missfallen, dass er dich auf diese lange und gefährliche Reise schickte?«, fragte Thomas mit gerunzelter Stirn.
Dann war der kleine Benediktiner also nicht aus freiem Willen hier, sondern zur Strafe für einen Zweifel! Ein Zweifel allerdings, mit dem er nicht weniger als den Kreuzzugsaufruf des Papstes in Frage stellte.
Dass das dem Abt wenig gefallen hat, glaube ich gern, dachte Thomas. Aber war ihm denn nicht klar, welchen Gefahren er seinen jungen Bruder aussetzt, der noch viel weniger kräftig genug für das scheint, was noch auf uns zukommen mag, als Rolands kränklicher Knappe? Und der den Anschein erweckte, noch nie die Mauern des Klosters verlassen zu haben?
»Wir sind alle in Gottes Hand. Wie es Ihm gefällt, wird Er uns prüfen oder uns schützen«, sagte der Benediktiner schicksalsergeben und senkte den Kopf.
Ein Ritter und ein Mönch auf Kriegszug gegen die Ungläubigen – und beide haben wir Zweifel an dem, was wir tun, dachte Thomas halb verdrossen, halb belustigt. Da haben sich genau die Richtigen auf den Weg gemacht!
Er beschloss, ab sofort ein Auge auf den kleinen Benediktiner zu haben, sooft ihm das möglich war, damit ihm nichts zustieß.
»Sag mir deinen Namen, Bruder, damit ich dich in meine Gebete einschließen kann!«
»Notker. Und ich werde Euch in meine Gebete einschließen, Thomas von Christiansdorf.«
Gesandtschaften
R uperts Verletzung heilte schlecht; sie nässte und begann, an den Rändern zu eitern. Erst nachdem Thomas die Wunde aufgestochen, den Eiter herausgedrückt und Bruder Notker eine streng riechende Tinktur darüber geträufelt hatte, ging die Entzündung langsam zurück.
Das Heer der Kreuzfahrer zog weiter Richtung Süden und hatte jeden Tag mit neuen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Wege waren schmal, steil und mussten oft erst freigeräumt werden, die Dörfer wie leergefegt. Ihre Vorräte wurden allmählich bedenklich knapp, da sie nirgendwo Nachschub besorgen konnten. Doch am schlimmsten waren die anhaltenden Überfälle, hauptsächlich auf den Tross.
Sie zogen nun durch Waldgebiet und mussten ständig damit rechnen, dass Pfeilhagel von den dichtbewachsenen Hügeln oder von den Bäumen links und rechts des Pfades auf die Kolonne niedergingen. Wenn es das Gelände erlaubte, unternahmen immer wieder ein paar Reiterabteilungen Gegenangriffe; die Gefangenen wurden am nächsten Baum aufgeknüpft und zur Abschreckung hängen gelassen.
Sie hatten mittlerweile schon an die hundert Leute verloren und noch mehr Pferde eingebüßt – verletzt, abgestochen oder geraubt.
Durch die vielen zusätzlichen
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