Der Fluch der Hebamme
bis er kommen kann. Und aus der Hand geben will er es nicht«, sagte er rasch, bevor ihn ein Hustenanfall packte.
»Pech für euren Freund«, sagte Thomas mit ehrlichem Bedauern. »Dann renn zum Schmied und hole seine schmalste Zange. Ich kann das Ding hier nicht stecken lassen.«
»Ich will auf den Wundarzt warten!«, begehrte Rupert auf, so heftig er noch konnte.
»Bevor der kommt, bist du tot«, erwiderte Thomas ungerührt. Er stand auf und erhitzte die Klinge seines Dolches an dem Talglicht, das auf dem Boden stand.
Dann schob er sie vorsichtig an der Pfeilspitze entlang und versuchte, diese durch winzige Bewegungen zu lockern.
»Glüh die Zange aus!«, befahl er dem jüngsten Knappen und gab ihm genaue Anweisungen. Dann nahm er das Heft seines Dolches vorsichtig in die Linke, drückte damit die Pfeilspitze, so gut es ging, nach oben und packte mit der Schmiedezange in der Rechten zu.
Ein Ruck, und die Pfeilspitze war heraus. Rupert schrie und verlor das Bewusstsein, die anderen Knappen stöhnten, einer von ihnen rannte weg, um seine letzte Mahlzeit herauszuwürgen.
Aus der Wunde sprudelte nun so viel Blut, dass Thomas klar war, er musste sie ausbrennen. Vielleicht tötete das ja auch das Gift ab, wenn welches in Ruperts Körper eingedrungen war.
Er befahl einem der Jungen, die Hand auf die blutende Wunde zu pressen, und erhitzte sein Messer am Kohlebecken.
»Los, ihr zwei haltet ihn noch einmal!«, befahl er. Bleich, aber widerspruchslos gehorchten die Jungen.
Als er das rotglühende Messer auf die Wunde drückte, kam Rupert wieder zu sich und brüllte vor Schmerz. Er wollte sich aufbäumen, aber seine Freunde hielten ihn auf den Boden gepresst.
»Noch einmal, dann hast du es überstanden«, sagte Thomas aufmunternd zu seinem unglücklichen Knappen. »Und du hast mein Wort – sollte es mich einmal erwischen, darfst du mir das hier vergelten.«
»Ich freue mich schon drauf«, ächzte Rupert.
Thomas sah, dass der Junge kurz davor stand, erneut das Bewusstsein zu verlieren. Er flößte ihm noch einmal kaltes Wasser ein, dann schob er ihm wieder den Messergriff zwischen die Zähne.
»Bereit?«
Rupert nickte. Er konnte seine Augen kaum von der glühenden Klinge lösen, aber diesmal nahm er alle Kraft zusammen, um nicht wieder zu schreien.
»Ihr könnt ihn loslassen«, befahl Thomas den Knappen, als er fertig war. Nun musterte er die Wunde näher. Es hatte aufgehört zu bluten – mehr ließ sich im Moment nicht sagen.
Seine Mutter hätte sicher gewusst, was noch zu tun war. Warm halten und viel zu trinken geben, waren ein paar ihrer Ratschläge, an die er sich noch erinnerte. Sollte er die Wunde verbinden? Aber dann würde das Leinen daran festkleben. Nur in einem war er sich sicher: einen Kuhfladen, der von vielen als Allheilmittel in solchen Situationen betrachtet wurde, sollte er nicht darauf packen.
»Du hast dich gut gehalten«, lobte er seinen Knappen. »Mit Gottes Hilfe verheilt es bald.«
Das brachte ihn auf einen Gedanken. »Im Lager von Bischof Martin ist ein junger Benediktiner, der mit der schiefen Tonsur. Bitte ihn hierher; vielleicht weiß er noch einen Rat«, befahl er Philipp.
Als ihn der Mönch in Pressburg zur Beichte geholt hatte, war Thomas aufgefallen, dass seine Finger nicht mit Tinte bekleckst waren wie bei einem Schreiber, sondern an den Nägeln grün gefärbt – so wie bei seiner Mutter, wenn sie gerade frische Kräuter schnitt. Viele Mönche waren heilkundig. Bestimmt konnte er helfen.
»Ich danke Euch, Herr«, stöhnte Rupert, und das klang ehrlich.
»Woher kommst du eigentlich? Und hast du eine hübsche Schwester?«, versuchte Thomas, ihn von den Schmerzen abzulenken.
»Drei, Herr«, meinte der Knappe und grinste matt. »Aber von denen solltet Ihr besser keine freien, wenn Ihr noch etwas Spaß im Leben haben wollt.«
»Ja, wenn die auch so ein Schandmaul haben wie du, dann sollte ich wohl einen großen Bogen um sie machen«, sagte Thomas, grinste zurück und ging hinaus.
Erst im Morgengrauen konnten sie sich einen genauen Überblick über die Ereignisse der Nacht verschaffen. Es hatte in der Dunkelheit an fünf Stellen Überfälle auf das Heerlager gegeben. Beim Tross waren mehr als zwei Dutzend Tote zu beklagen: Wagenknechte und etliche der armen Pilger, die sich ihnen unterwegs angeschlossen hatten. Diese bereiteten dem Heer beträchtliche Schwierigkeiten, denn eigentlich sollten nur Männer mitziehen, die kampferfahren waren und sich selbst verpflegen
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