Der Fluch der Hebamme
konnten. Aber man konnte sie nicht alle fortschicken – schließlich war das ganze Vorhaben dazu gedacht, die Pilger zu schützen, die nach Jerusalem wollten.
Sie waren mit Pfeilen beschossen worden, gegen die es in der Dunkelheit kaum Schutz gab. Doch als die Angreifer dann losstürmten und Beute machen wollten, hatten die Böhmen erfolgreich zurückgeschlagen und an die zwanzig der Wegelagerer getötet.
Zehn Pferde waren abgeschlachtet worden und zwölf geraubt, etliche Sack Korn ebenso.
Thomas’ Gefangener war noch vor dem Morgengrauen verblutet. Die sechs anderen knieten gefesselt vor dem Marschall des Kaisers und wurden verhört, um in Erfahrung zu bringen, in wessen Auftrag sie gehandelt hatten. Was allerdings daran scheiterte, dass keiner die Sprache der anderen Seite kannte.
Also fragte Marschall Heinrich von Kalden nach dem anhaltenden Wehklagen der Diebe, mit dem sie offensichtlich um Gnade baten: »Isaak Angelos?«
Eifrig nickten die Gefangenen und wiederholten den Namen des byzantinischen Kaisers.
Das reichte dem Marschall als Schuldgeständnis dafür, dass der Kaiser von Byzanz diese Schurken gegen sie geschickt hatte.
»Hängt sie auf!«, befahl er, und seine Order wurde unverzüglich ausgeführt.
Wüste Beschimpfungen über die Unzuverlässigkeit Ostroms machten die Runde, während die Männer wieder zu ihren Lagerabschnitten gingen. Schließlich hatte Isaak Angelos schon vor einem Jahr Kaiser Friedrich friedlichen Durchzug, Geleitschutz und Märkte zu festen Preisen zugesichert, wie es auch der ungarische König getan und sich daran gehalten hatte. Er hatte sogar seinen Kanzler nach Nürnberg gesandt, also nicht nur irgendeinen niederen Bediensteten, sondern jemand, dessen Wort verbindlich galt. Und drei der höchstangesehenen Männer des Kaiserreichs – Friedrichs Sohn als Herzog von Schwaben, der Bischof von Würzburg und Herzog Leopold von Österreich – hatten die friedlichen Absichten des Heerzuges gegenüber Byzanz beeidet.
Aber nicht nur der oströmische und der weströmische Kaiser standen in Unfrieden zueinander, sondern auch die ost- und die weströmische Kirche.
Thomas machte sich seine eigenen Gedanken, als er nach der Hinrichtung der Gefangenen zurück ins wettinische Lager ging. Für ihn sahen die Gehenkten eher wie Räuber aus und nicht wie Männer, die ein Kaiser in den Kampf gegen einen anderen schickte. Sie waren zerlumpt, und ihre Waffen waren mit Sicherheit gerade erst erbeutet.
Vielleicht herrschte hier wirklich ein Krieg, der bereits vor ihrer Ankunft begonnen hatte. Doch wie sollten sie das herausfinden?
Jetzt musste er sich erst einmal vergewissern, wie es seinem Knappen ging, und dann unbedingt einen Priester suchen, um die Beichte abzulegen. Er hatte heute zum ersten Mal einen Menschen getötet – genau genommen sogar zwei, wenn er dazurechnete, dass einer an seiner Wunde verblutet war.
»Du hast zwei
Diebe
getötet«, berichtigte ihn Roland. »Ehrloses Gesindel, das aus dem Hinterhalt angegriffen und Giftpfeile geschickt hat. Einer dieser Pfeile hätte beinahe deinen Knappen umgebracht. Und es ist ungewiss, ob der Junge nicht noch daran verreckt.«
Als Thomas schwieg, meinte Roland ungeduldig: »Ich verstehe nicht, worüber du noch grübelst. Du bist ein Ritter, und das Töten ist dein Handwerk. Sind wir nicht ausgezogen, um gegen die Ungläubigen zu kämpfen?«
Das waren keine Ungläubigen, wollte Thomas entgegnen. Doch sein Freund hatte recht: Fromme Christenmenschen waren das wohl auch nicht, sondern genau die Sorte Gesindel, vor denen sie, die Ritter, die Schutzlosen zu verteidigen hatten. Und unter ihren Opfern waren Menschen, die gar nicht zum Schwert gegriffen hatten: die Trossknechte und sein Knappe.
»Noch vor ein paar Wochen konntest du es kaum erwarten, Rutger zu töten. Schon vergessen?«, erinnerte ihn Roland.
»Ja, aber den kenne ich und weiß, dass er den Tod verdient hat!«, entgegnete Thomas sofort. Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als ihm Zweifel kamen. Nun, da er getötet hatte, schien ihm das Töten keine so selbstverständliche Sache mehr. Es war etwas anderes, über das Töten zu reden, als das Blut eines Menschen an den Händen zu haben.
»
Sein Vater
hatte den Tod verdient«, berichtigte ihn Roland. »Du kannst Rutger nicht für die Missetaten seines Vaters bestrafen, selbst wenn er ein hinterhältiger Mistkerl ist. Wollte man die alle erschlagen, wäre es ziemlich leer auf Gottes schöner Erde.«
Bei der
Weitere Kostenlose Bücher