Der Fluch der Hebamme
Stadt in Frieden ließ.
Auf etlichen Gesichtern sah sie kaum verhüllten Neid darüber, so im Mittelpunkt zu stehen und eine Hochzeit vom Markgrafen ausgerichtet zu bekommen. Wenn ihr wüsstet!, dachte sie und fühlte sich hilflos wie seit langem nicht mehr.
Doch die Mehrzahl derer, die nun erwarteten, dass sie ihre Pflicht erfüllte und die Ehe mit einem allseits gefürchteten Gefolgsmann des neuen Markgrafen einging, taten dies aus Angst. Die Freiberger fürchteten sich vor dem, was Albrechts Regentschaft bringen mochte.
Marthe erkannte, wie es um ihre Tochter bestellt war, und beschloss, einzugreifen.
»Wir müssen der Markgräfin unsere Aufwartung machen«, sagte sie, nahm Clara bei den Schultern und führte sie über den Hof zum Palas. Im Gehen flüsterte sie der kleinen Magd etwas zu, die Clara am Morgen das silberne Kreuz zugesteckt hatte. Das Mädchen nickte und huschte davon.
Allerdings dachte Marthe gar nicht daran, zu Albrechts Gemahlin zu gehen, solange sie nicht dorthin gerufen wurde. Stattdessen wollte sie ihrer Tochter einen Moment der Ruhe verschaffen, weg von all den hämischen, mitleidigen oder bohrenden Blicken. Schließlich hatte sie fast zehn Jahre auf dieser Burg gewohnt und wusste, wo man hier einen Platz fand, an dem einen niemand störte. Sie führte sie in eine winzige Kammer, die als Lager für irgendetwas diente, und ein schmales Fenster aufwies.
Beruhigend nahm sie Clara in den Arm.
»Habt ihr schlechte Nachrichten bekommen? Ist etwas mit meinen Brüdern?«, bedrängte Clara die Mutter. Doch die schüttelte nur den Kopf. Sie wollte ihre Tochter jetzt nicht auch noch mit dem geplanten Anschlag auf Lukas verunsichern. Sie musste einfach hoffen, dass es ihr Mann mit seiner Kampferfahrung schaffte, gegen diesen Groitzscher zu bestehen.
Jemand öffnete die Tür und trat ein, ohne hereingebeten zu werden. Verblüfft sah Clara, dass es ihr frisch angetrauter Mann war. Fragend blickte sie zu ihrer Mutter, die ganz und gar nicht überrascht wirkte.
»Ich dachte, ihr solltet eine Gelegenheit haben, unter vier Augen miteinander sprechen zu können, bevor ihr heute Abend vor allen Hochzeitsgästen ins Brautbett gelegt werdet«, sagte Marthe schlicht und ging.
Clara hätte ihrer klugen Mutter dankbar sein müssen für diese Möglichkeit, etwas Vertrautheit zwischen sich und ihrem ihr fremden Gemahl aufzubauen. Sie und Reinhard hatten schließlich nur eine einzige kurze Unterredung führen können und waren dann viel schneller als geplant verheiratet worden. Seitdem mussten sie vor aller Augen mit furchtsamer oder gelangweilter Miene nebeneinanderhocken, damit Elmar seinen Plan für aufgegangen hielt. Und als Nächstes würde man sie vor der halben Hochzeitsgesellschaft nackt nebeneinander ins Bett legen – auch nicht gerade der Moment für klärende Worte.
Doch statt Dankbarkeit fühlte sie Beklommenheit, die jäh in Angst umschlug angesichts dessen, dass sie allein war mit dem Mann, dem sie nun gehörte.
Reinhard ging auf Clara zu, griff nach ihren eiskalten Händen und küsste sie.
»Ihr sollt wissen, dass mich unsere Heirat sehr glücklich macht«, sagte er verhalten lächelnd und blickte ihr ins Gesicht.
Dann legte er seine rechte Hand um ihren Hinterkopf und zog sie an sich, um sie zu küssen – diesmal nicht flüchtig und gleichgültig wie vorhin an der Tafel, sondern innig und zunehmend fordernder.
Clara zuckte zusammen, als seine Fingerkuppen ihre Brust durch den Stoff des Kleides streichelten. Er ist jetzt mein Gemahl, rief sie sich zur Ordnung. Ihm gehört jetzt mein Leib.
Die sanfte Berührung an einer Stelle, wo noch nie die Hand eines Mannes gewesen war, ließ sie frösteln. Sie konnte Reinhards aufsteigendes Begehren spüren und fragte sich erschrocken, ob er die Ehe gleich hier vollziehen würde, in dieser dunklen Kammer statt im Brautbett. Wenn sie morgen früh keine blutigen Laken vorweisen konnten, würde nicht nur sie mit Schimpf und Schande davongejagt, sondern wäre auch ihr Stiefvater entehrt.
Als hätte Reinhard ihre Gedanken gelesen, löste er sich von ihr. Er nahm ihre Hände und sah ihr in die Augen, diesmal sehr ernst.
»Vielleicht wirst du mich eines Tages auch so lieben, wie ich dich liebe. Das ist mein größter Wunsch«, sagte er leise mit seiner dunklen Stimme und küsste erneut ihre Hände. »Und meine größte Angst ist, dass uns auffrisst, was wir der Welt vorspielen müssen.«
»Ihr vergesst, wie ich aufgewachsen bin«, entgegnete sie mit
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