Der Fluch der Hebamme
zustürmen sahen. Auch Jonas und seine Freunde, obwohl schon etwas abseits, traten hastig ein paar Schritte nach hinten.
Doch bevor es ein Unglück geben konnte, hatten die Reiter ihre Pferde an den Zügeln herumgerissen und stellten sich auf, um erneut gegeneinander loszustürmen.
Nun jubelte die Menge den Kämpfern zu.
»Sie sind wirklich schnell zu begeistern«, meinte Christian finster.
»Und begreifen nicht, dass das nicht nur zu unserer Zerstreuung gedacht ist«, erwiderte Jonas der Ältere. »Wie könnte Albrecht eindrucksvoller seine Macht zeigen als mit so vielen gerüsteten Kämpfern, die er hier in vollem Galopp aufreiten lässt?«
»Na ja, er könnte auch jemanden hängen lassen«, mischte sich Peter zynisch grinsend in das Gespräch ein, der sich vorübergehend wieder bei der Gruppe eingefunden hatte. »Aber dafür würden sie ihm vielleicht nicht so zujubeln.«
»Das kommt auf den Gehenkten an«, entgegnete der Schwarzschmied bissig.
Der Buhurt war vorbei. Nun rannten ein paar Knechte zu den halbmannshohen Pfosten in der Mitte des Platzes, um auf jeden zwei dicke Holzscheiben zu legen: eine von kleinem Umfang und darüber eine größere.
»Ah, das Hälseschlagen«, erklärte Christian, der als rechte Hand des Stallmeisters oft bei diesen Übungen der Ritter dabei war. »Wenn das keine Botschaft an uns Freiberger ist …«
Während die Knechte noch beschäftigt waren, trat ein ziemlich dicker Mann mit gelb-schwarzer Kleidung in Mi-Parti neben das Podest mit den hohen Gästen. Gebieterisch erhob er die rechte Hand, und das Lärmen der erwartungsvoll gestimmten Zuschauer verebbte.
»Edler Fürst, schönste Fürstin, ehrenwerte Gäste«, rief er mit bemerkenswert lauter Stimme und verneigte sich vor Albrecht und Sophia. »Volk von Freiberg! Der wohledle Markgraf von Meißen, Albrecht von Wettin, hat in seiner großen Gnade und Güte beschlossen, anlässlich seines Machtantritts ein Turnier zu veranstalten – zur Unterhaltung der hohen Gäste und des Volkes. Außerdem hat er verfügt, Silber unter den Freibergern zu verteilen.«
Die letzte Ankündigung löste tosendes Freudengeschrei aus. Als auf ein Zeichen des Fürsten vier Berittene ausschwärmten und Pfennige in die Menge warfen, setzte unter den Zuschauern sofort wildes Gerangel ein. Kinder schlängelten sich zwischen den Erwachsenen hindurch, um aus ihrer kleinen Gestalt und ihrer Flinkheit einen Vorteil zu schlagen. An mehreren Stellen begannen Raufereien. Die meisten derjenigen, die einen Pfennig oder Hälfling erhascht hatten, rannten sofort davon, um ihre Beute in Sicherheit zu bringen.
Einzig die Gruppe um Jonas und Christian blieb ungerührt an ihrem Beobachtungsposten stehen.
Wieder hob der Ausrufer Einhalt gebietend die Hand.
»Da der Vater unseres Markgrafen, Otto von Wettin – Gott segne ihn und schenke ihm Gesundheit! – dem ehrwürdigen Erzbischof Wichmann von Magdeburg vor Jahren einen Eid geschworen hat, dass weder er noch seine Ritter jemals wieder zu einem Turnier antreten werden, weil die Heilige Mutter Kirche derlei bekanntermaßen unter Bann gestellt hat, wird es heute keine blutigen Zweikämpfe geben. Markgraf Albrecht achtet den Willen und den Eid seines Vaters. Deshalb werden seine Ritter und die der Freiberger Burgmannschaft ihr Können in einem unblutigen Wettstreit unter Beweis stellen. Zum Abschluss und Höhepunkt treten zwei bewährte Ritter um die Ehre der heute vermählten Jungfrau Clara gegeneinander an: Lukas von Freiberg und Edwin von Groitzschtal. Lang lebe Markgraf Albrecht!«
Durch die Münzen und die Aussicht auf ein spannendes Turnier begeistert, stimmte die Mehrzahl der Zuschauer in den dreifachen Ruf ein: »Lang lebe Markgraf Albrecht!«
Nur weit hinten an der Südseite des Marktes fiepte jemand nachträglich mit dünner Stimme: »Lang lebe Markgraf Otto!«
Die dort Stehenden blickten zu dem mageren Bettler, der das gerufen hatte.
»He, Willem, du bist ja heute noch närrischer als sonst!«, rief einer der Burschen in seiner Nähe. »Hast du Dummkopf es nicht mitbekommen: Der junge Fürst Albrecht ist nun Markgraf!«
Der alte Willem kicherte verunsichert und zog die Schultern hoch. Schon wandten sich die Zuschauer wieder dem Geschehen auf
dem Platz zu.
Anna aber, Christians Frau, umklammerte krampfhaft den Arm ihres Mannes und deutete auf den Alten.
Zwei fremde, kräftig wirkende Männer traten zu dem Bettler, packten ihn an den Armen und zogen ihn fort Richtung Petersgasse, ohne dass
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