Der Fluch der Hebamme
Ritter.«
»Er
ist
edel, allein durch seine Geburt«, berichtigte ihn Roland.
»Das ist Albrecht auch«, fiel ihm Thomas ins Wort. »Was ihn nicht daran hindert, ein ehrloser, hinterhältiger …«
»Behalte das lieber für dich, wir sind hier nicht allein!«, ermahnte ihn Roland harsch. »Und was Dietrich als Vorbild betrifft – ich schätze, das ist auch der Einfluss deines Vaters, nicht wahr?«
Nachdem die Pferde versorgt waren, gingen Thomas und Roland zurück ins wettinische Lager. Dort wurde inzwischen Essen ausgeteilt. Sie beeilten sich, um das Tischgebet nicht zu versäumen, dann bekamen auch sie eine Ration und aßen gemeinsam mit den anderen unter einem aufgespannten Leinentuch.
Wiprechts Vorschlag, sich nach dem Essen schlafen zu legen, lehnten sie einmütig ab. Sie mussten ihre Botschaft unbedingt noch diese Nacht loswerden. Also setzten sie sich zu dem Lanzenführer ans Feuer und ließen sich von der feierlichen Zeremonie berichten, mit der hier vor Pressburg der Kaiser seinem älteren Sohn, König Heinrich, die Regentschaft für die Zeit seiner Abwesenheit übertragen hatte. Über die Neuigkeiten aus der Mark Meißen verloren sie kein Wort, so schwer es auch fiel. Dietrich sollte als Erster erfahren, was geschehen war, und entscheiden, was zu unternehmen war.
Wie sich herausstellte, kannte der alte Ritter auch Rolands Vater Raimund und Lukas.
»War mit ihnen dabei, als wir im Krieg gegen den Welfenherzog Haldensleben belagerten … Die fürchterlichste Belagerung, die ich je erlebt habe. Ein nasskalter Oktober, wir stecken in einem Torfmoor, starren auf die uneinnehmbare Burg, und dann brennen uns diese Bastarde das Moor unter den Füßen ab. Zu allem Überfluss führt einer unserer Verbündeten, der Erzbischof von Köln, auch noch das übelste Söldnerheer der christlichen Welt zu uns. Christian hat sich mit deren Anführer angelegt, sehr mutig. Graf Dietrich war damals noch Knappe deines Vaters. Im Lager des Magdeburger Burggrafen wirst du einen finden, der mit ihnen zu einem gefährlichen Auftrag ausgeschickt wurde. Wir können ihn morgen suchen, wenn ihr nicht gleich weitermüsst, Gerolf ist sein Name …«
Warum hat mir Lukas nie davon erzählt?, dachte Thomas bei sich und hörte nur mit halbem Ohr zu, als Wiprecht erklärte, der Kaiser habe vor seinem Aufbruch Heinrich den Löwen vor die Wahl gestellt, ihn entweder auf seiner Wallfahrt zu begleiten, auf einen Teil seines Besitzes zu verzichten oder erneut ins Exil zu gehen.
Mit Lukas war Thomas in gutem Einvernehmen, aber er scheute sich aus irgendeinem Grund, ihn nach seinem Vater zu fragen. Und seine Mutter würde solch ein Gespräch nur zum Weinen bringen, selbst wenn sie versuchte, diese Tränen in seiner Gegenwart zu verbergen.
Die Erinnerung war noch so frisch, als sei es gerade erst geschehen: wie er und sein Bruder Daniel vom Fenster der Freiberger Burgkapelle aus hilflos zusehen mussten, wie ihr Vater starb. Und wie sie später neben seinem aufgebahrten Leichnam standen und Lukas ihnen ins Gewissen redete, sich Albrecht gegenüber nicht anmerken zu lassen, dass sie
ihn
für den wahren Mörder hielten.
Der Gedanke, hier im Heerlager auf Männer zu treffen, die ihm etwas über seinen Vater erzählen konnten, die sogar gemeinsam mit ihm gekämpft hatten, hielt Thomas hellwach. Vermutlich kannte Graf Dietrich, der die letzten vier Jahre seiner Knappenzeit bei Christian verbracht hatte, ihn von allen hier am besten. Doch er konnte ihn nicht danach fragen, sofern er nicht selbst davon begann.
»Also ging der Löwe wieder nach England. Im Kaiserreich durfte er nicht bleiben, da hätte er nur neue Unruhe gestiftet«, verkündete Wiprecht gerade und riss Thomas damit aus seinen Überlegungen.
Mittlerweile war es tiefe Nacht. Im Lager waren nur noch verhaltene Stimmen zu hören, dazu das Knistern der Flammen, kräftiges Schnarchen von mehreren Seiten und gelegentlich ein Schnauben oder Stampfen von der Koppel.
Thomas unterdrückte ein Gähnen, als er sah, dass sich ein paar Männer im Fackellicht näherten. Er reckte sich empor, um Ausschau zu halten, und hieb seinem Freund in die Rippen. Sofort standen sie und Wiprecht auf.
Dietrich wirkte nicht, als ob er von einem glanzvollen Festmahl käme. Er schien eher ernst als gelöst und alles andere als betrunken.
Der Graf von Weißenfels, Ottos jüngerer Sohn, war siebenundzwanzig Jahre alt, schlank, er hatte dunkles Haar wie einst sein Vater, und die Ähnlichkeit mit seinem
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