Der Fluch der Hebamme
was ihr zu berichten habt«, erklärte Dietrich den beiden jungen Männern, der selbst keine Eile zu haben schien – und falls doch, ließ er es sich nicht anmerken. Stattdessen nutzte er die Zeit des Wartens dazu, sich weitere Einzelheiten über das jüngste Geschehen in der Mark Meißen berichten zu lassen.
Als er dabei von Claras geplanter Hochzeit hörte, war ihm zumute, als würde ein glühendes Eisen in sein Herz gebohrt. Ich habe sie im Stich gelassen, dachte er bestürzt.
Ich
hätte sie heiraten sollen – ganz gleich, ob es gegen alle Sitten und jegliche Vernunft verstößt!
Doch Clara selbst war es gewesen, die ihm diesen Gedanken ausgeredet hatte. Ihr werdet einmal Krieg gegen Euren Bruder führen müssen, hatte sie mit der ihr eigenen, besonderen Voraussicht gesagt. Dazu braucht Ihr einen mächtigen Schwiegervater als Verbündeten, sonst seid nicht nur Ihr verloren, sondern auch die Menschen in Eurem Land!
Claras bedrückende Vision, wie das Land um Weißenfels in einem blutigen Krieg in Flammen aufging, war letztlich der Grund, weshalb er auf sie gehört und verzichtet hatte. Um sie sich aus dem Herzen zu reißen, war er auf Pilgerfahrt gegangen – und um hier im Kampf Verbündete für kommende Zeiten zu finden.
Als Trost blieb ihm nur, dass Lukas und Marthe sicher gut ausgewählt hatten, wem sie ihre Tochter anvertrauten. Ich hoffe, du wirst glücklich, Clara!, dachte er voller Schmerz und Wehmut.
Da Dietrich eine ganze Weile nichts mehr gefragt hatte und in Gedanken versunken wirkte, schien Thomas die Gelegenheit günstig, selbst eine Frage loszuwerden, die ihn seit dem Abend beschäftigte.
»Ist es wahr, was man sich erzählt: dass der König von Ungarn verlangt, alle Angelegenheiten
schriftlich
einzureichen, mit denen er sich befassen soll?«
Wiprecht hatte das behauptet, aber dies erschien ihm schlichtweg unglaublich. Bei solchem Bedarf an Pergament dürfte es in Ungarn weder Zicklein noch Lämmer geben!
Graf Dietrich lächelte verhalten. »Ja, das ist so eine Eigenart Seiner Majestät. Es fällt mir zwar schwer, vorzustellen, dass sich das auch anderswo durchsetzt. Aber vermutlich will er damit erreichen, dass jedermann wirklich gründlich überlegt, ob er den König mit seinem Anliegen behelligt.«
Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als ein Mann in kostbarer Rüstung aus dem Prunkzelt kam und die drei aufforderte, vor dem Kaiser zu erscheinen. Sie gaben die Waffen vor dem Eingang ab und betraten das farbenprächtige, mit Goldfäden durchwirkte Zelt, das innen in mehrere Kammern unterteilt war.
Zum ersten Mal seit vielen Jahren sah Thomas nun den Kaiser Friedrich von Staufen, und noch nie war er ihm so nah gewesen. Zu den meisten Hoftagen hatte er Otto nicht begleiten dürfen – auf ausdrückliche Weisung Elmars, der die Wachen und Begleitmannschaften einteilte und schon dafür sorgte, dass Christians Sohn keine Gelegenheit bekam, sich zu bewähren oder gar irgendwelche Lorbeeren zu verdienen.
Herr im Himmel, sag, dass ich nicht träume!, dachte Thomas, während er niederkniete und den Kopf senkte. Ich bin nur zehn Schritte vom Kaiser entfernt, dem größten Herrscher der christlichen Welt!
Zum ersten Mal war er froh, dass er Knappe war, während sein Freund schon zum Ritter ernannt worden war. So würde nun Roland sprechen. Aber auch diesem – viel reifer geworden in dem Jahr seit seiner Schwertleite – schien auf einmal ein Kloß im Hals zu sitzen.
Friedrich von Staufen war ein beeindruckender Mann, und das lag nicht nur an den prachtvollen Gewändern und dem Prunk um ihn herum: den golddurchwirkten Wandbehängen, dem reichverzierten Thronsessel, dem mit Edelsteinen besetzten Pokal, den ihm der Mundschenk reichte, den würdevoll blickenden Männern seines engsten Gefolges. Trotz der weißen Haare und seiner fast siebzig Jahre wirkte nichts an Friedrich von Staufen schwach. Ihm schienen weder die Nächte im Zelt noch die Tage im Sattel etwas auszumachen.
Vielleicht ist es ja der Gedanke, für die Sache Gottes seinen Lebenskreis zu schließen, dachte Thomas ungewohnt grüblerisch. Er wusste, dass Friedrich von Staufen als Fünfundzwanzigjähriger unter König Konrad bereits an einem Kriegszug ins Heilige Land teilgenommen hatte und dabei schnell zum eigentlichen Befehlshaber geworden war, auch wenn natürlich der König den deutschen Heerbann anführte. Allerdings wurde dieser Heerbann schon unterwegs fast völlig aufgerieben, schaffte es unter großen Verlusten bis
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