Der Fluch der Hebamme
gehört: Der Graf ist beim Kaiser! Es gibt keine Nachricht, die wichtig genug sein könnte, um ihn da herauszuholen – ausgenommen, die himmlischen Heerscharen steigen herab, oder Saladin höchstselbst taucht hier auf, um ihm Jerusalem zu schenken. Wenn dir deine Lehrmeister auch nur einen Funken höfischen Benehmens beigebracht hätten, wüsstest du, dass der Graf die Tafel nicht verlassen darf, bevor unser Herr Kaiser sie aufhebt.«
»Können wir ihm eine Nachricht zukommen lassen?«, erkundigte sich Roland, wobei er sich alle Mühe gab, nicht ungeduldig zu wirken. So lange waren sie unterwegs gewesen, hatten ihre Pferde über das Gebirge, quer durch Böhmen bis hierher gehetzt – und nun wurden sie ihre Botschaft nicht los, weil Ottos Sohn an der Tafel des Kaisers festsaß. Dabei konnten sie es gar nicht erwarten, mit der Ungeheuerlichkeit herauszuplatzen und zu sehen, was dann geschah.
»Das ist unmöglich!«, erklärte der graubärtige Ritter. »Niemand darf den Kaiser stören, wenn er mit den königlichen Gesandten speist.« Mit gedämpfter, aber bedeutungsschwerer Stimme fuhr er fort: »Es geht um eine mögliche Verlobung des Herzogs von Schwaben mit der jüngsten Tochter König Belas. Dafür ist vieles zu bereden. Also rechnet nicht vor dem Morgengrauen mit dem Grafen!«
Er musterte die beiden jungen Männer gründlicher, sah ihre gute Ausrüstung, die edlen, aber verschwitzten Pferde, die Anspannung in ihren Gesichtern. Etwas an Thomas ließ ihn stutzen; doch vor allem schien es der Rappe zu sein, der seine Aufmerksamkeit auf sich zog.
»Wie es aussieht, seid ihr lange und schnell unterwegs gewesen«, stellte er fest und stemmte die Arme in die Hüften. »Wollt ihr euch nicht endlich vorstellen, damit ich weiß, wen ich ankündige, wenn der Graf inzwischen hier auftauchen sollte?«
»Roland von Muldental und Thomas von Christiansdorf.«
»Christiansdorf? Dachte ich mir’s doch!«, rief der Alte. Ein Lächeln zog über sein faltenzerfurchtes Gesicht. »Du bist Christians Sohn, nicht wahr? Im ersten Augenblick dachte ich, er sei aus dem Grab auferstanden und stünde leibhaftig vor mir – mitsamt seinem Pferd.«
»Ihr kanntet meinen Vater?«, fragte Thomas und hielt den Atem an.
»Ja. Guter Mann. Wirklich schade um ihn.« Der Alte bekreuzigte sich.
Am liebsten hätte Thomas ihn sofort mit Fragen über seinen Vater überhäuft. Doch er hielt sich zurück, um nicht unverschämt oder eitel zu erscheinen.
Der Graubart stellte sich ihnen als Wiprecht von Starkau vor, einer der Lanzenführer in Dietrichs Kontingent.
»Stellt eure Pferde auf die Koppel dort«, wies er die Neuankömmlinge an und deutete nach vorn.
Roland bedankte sich. Sie sattelten ihre Hengste ab, entluden die Packpferde und führten die Tiere zur Koppel.
»Ist das nicht zum Haare raufen?«, stöhnte Thomas leise, als sie weit genug gegangen waren, um von den anderen nicht gehört zu werden. »Da finden wir endlich Graf Dietrichs Lager, und nun müssen wir warten, bis er vom Festmahl kommt. Das kann morgen früh sein, und sicher ist er sturzbetrunken, weil er zu oft auf die geplante Vermählung anstoßen musste.«
Roland stöhnte auf und stieß ihm zwischen die Schulterblätter. »Hast du denn gar nichts gelernt über Benehmen bei Hofe?«, ermahnte er den Freund mit gequältem Gesichtsausdruck.
»Wie denn?«, gab Thomas sofort zurück. »Elmar hat mich doch jedes Mal auf dem Burgberg gelassen, wenn ihr Otto zu Hoftagen begleitet habt. Als Strafe für … na, da ist ihm jedes Mal etwas Neues eingefallen.«
»Und ich schätze, jedes zweite Mal war es verdient«, meinte Roland grinsend. »Also hör zu und lerne von einem erfahrenen Mann, Knappe: Es wäre äußerst unklug, sich in Gegenwart des Kaisers zu betrinken. Zum einen, weil dies das Auge des Erhabenen beleidigen könnte und der ritterlichen Tugend des Maßhaltens widerspricht. Vor allem aber, weil es jemandes
Ohr
beleidigen könnte. Solche Gesellschaft ist keine fröhliche Runde unter Freunden, sondern eine durch und durch heikle Angelegenheit. Ein einziges unbedachtes Wort, einmal entschlüpft, kann verhängnisvolle Folgen haben.«
»Hätte ich mir denken sollen«, brummte Thomas und winkte einen Knecht herbei, ihnen etwas Stroh zu besorgen, damit sie die Pferde trockenreiben konnten. »Und ehrlich gesagt, kann ich mir Dietrich als Trunkenbold auch nicht vorstellen. Er wirkt ziemlich besonnen und edel, nicht wahr? Ein Vorbild für jeden tugendhaften
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