Der Fluch der Hebamme
lateinische Worte und besprenkelte das Laken mit geweihtem Wasser.
Clara, die mittlerweile überall am Körper Gänsehaut hatte, und Reinhard wurden aufgefordert, das Bett zu besteigen.
Feierlich zog die Kammerfrau die zurückgeschlagene Decke über das Brautpaar.
Reinhard sagte kein Wort, sondern schaute nur zu Elmar.
Der seinerseits gab sich ungewohnt leutselig. »An der Bereitschaft des Bräutigams besteht kein Zweifel«, sagte er unter dem Gelächter der Anwesenden. »Lassen wir ihn seine Pflicht erfüllen, während der Brautvater auf der Burg mit uns darauf anstößt, dass er in neun Monaten einen Enkel bekommt.«
Elmar zwirbelte seine Bartspitzen hoch, schob mit herablassender Geste die Beobachter hinaus und schloss die Tür.
Fragend sah Clara zu ihrem frisch angetrauten Gemahl. Der bedeutete ihr, still zu sein, und rührte sich selbst kein bisschen. Nach einer Weile klatschte er in die Hände – so laut, dass Clara zusammenschrak.
»Ihr solltet jetzt laut schreien und jammern«, raunte er ihr zu.
Seine Braut starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren.
»Sie haben verabredet, Lukas in die Halle zu führen, weil er nicht dulden würde, dass ich Euch schlage. Aber ein paar von ihnen werden zurückkommen. Sie wollen als Lauscher an der Tür miterleben, wie ich Euch züchtige. Das ist ihre späte Rache an Euerm Vater.«
Geistesgegenwärtig begann Clara zu schreien und zu wimmern, während Reinhard wieder und wieder in die Hände klatschte. »Nein, Herr, nein, bitte hört auf … Ich werde auch gehorchen …«, wehklagte sie.
Reinhard antwortete mit ein paar gebrüllten Drohungen, bis Claras Wimmern leiser wurde und verstummte.
Wieder schwiegen sie beide, immer noch starr nebeneinander im Bett sitzend, die Decke über die Leiber gezogen.
Sie hörten ein leises Kichern und dann ein Schlurfen vor der Tür; anscheinend gingen die Lauscher davon.
Nun verstand Clara Reinhards Sorge.
Sie war verstört von dieser Vorstellung mit den vorgetäuschten Prügeln. Jetzt von einem Moment zum anderen zu Vertraulichkeiten überzugehen, erschien ihr völlig unmöglich.
Er weiß viel über die Pläne unserer Feinde, überlegte sie mit wachsendem Misstrauen. Beunruhigend viel.
Ihr Mann stand auf und füllte Wein in einen Becher. Sie konnte sehen, dass sich sein inzwischen erschlafftes Geschlecht wieder aufzurichten begann.
Ohne die geringste Verlegenheit über seine Nacktheit hielt er ihr den Becher hin. Es war ein Zinngefäß, das die Wärme hielt, und der heiße Würzwein, den sie schneller trank, als gut sein konnte, vertrieb wenigstens die innere Kälte.
»Und nun?«, fragte sie verunsichert, als er wieder ins Bett stieg.
Reinhard nahm ihr den Becher aus der Hand und stellte ihn ab. »Jetzt werden wir die Ehe vollziehen – ohne Lauscher.«
Mühelos zog er sie an sich und legte ihr eine Hand um den Nacken, um sie zu küssen. Mit der anderen umfasste er ihre Brust besitzergreifend.
Ende Mai 1189 in Pressburg
S prachlos starrten Thomas und Roland von einem Hügel hinab auf das kaiserliche Heerlager an der Donau. Obwohl sie sich bereits innerlich auf eine riesige Menschenansammlung vorbereitet hatten, übertraf das Bild, das sich ihnen darbot, ihre blühendsten Phantasien.
Die ganze südöstliche Ebene vor Pressburg war mit Menschen gefüllt, die aus der Ferne winzig wirkten. Die Marktsiedlung am Flussufer verschwand beinahe hinter der Vielzahl der Zelte und Feuerstellen, an denen das Wallfahrerheer lagerte. Tausende Pferde grasten auf den Koppeln. Am Ufer hatte eine ganze Flotte angelegt. Banner in leuchtenden Farben flatterten im Wind. Auf einem Hügel hoch über dem Fluss erhob sich die größte Burg, die Thomas je gesehen hatte.
»Was schätzt du, wie viele Leute das sind?«, fragte er überwältigt und wies auf die gewaltige Zeltstadt.
»Es heißt, der Kaiser soll von Regensburg aus mit fünfzehntausend oder sogar zwanzigtausend Mann aufgebrochen sein«, meinte Roland und konnte selbst sein Staunen kaum verbergen. »Das hier scheinen mir noch mehr zu sein. Aber wer kann das schon sagen?«
»Es wird Wochen dauern, bis wir Graf Dietrich in dieser Menge gefunden haben!«, stöhnte Thomas.
»Ein Grund mehr, mit der Suche zu beginnen«, erwiderte Roland und verzog das Gesicht. Ein Windstoß hatte gerade den Gestank der Latrinengräben, die um das Lager gezogen waren, zu ihnen getragen.
Beide setzten ihre Pferde vorsichtig wieder in Bewegung, um sich den Weg durch die ungeheure Menschenmenge
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