Der Fluch der Hebamme
Antiochia, musste die Belagerung von Damaskus abbrechen und letztlich unverrichteter Dinge abziehen, ohne Jerusalem je gesehen zu haben.
War es der Traum von der Heiligen Stadt und dem Grab Jesu, der den Kaiser nun noch einmal mit solcher Kraft erfüllte? Oder der Traum von der Krone? Er wäre ein wahrhafter König von Jerusalem.
Oder lag es in seiner Natur, allen Mächten zu trotzen, sogar dem Alter? Dietrichs Stimme riss Thomas aus seinen verschlungenen Gedanken.
»Majestät, meine Mutter, die Fürstin von Meißen, sandte mir Boten mit beunruhigender Nachricht aus der Mark. Sie ist in einer verzweifelten Lage und wusste sich keinen anderen Rat, als Euch um Eingreifen zu bitten, bevor Ihr weiterzieht, um Jerusalem zurückzuerobern.«
Verstohlen wagte Thomas einen Blick auf den Kaiser, der die Augenbrauen hochzog angesichts dieser Einleitung, und dann auf dessen Söhne, die neben ihrem Vater standen.
König Heinrich, der ältere von beiden, wirkte gelangweilt, der junge Herzog von Schwaben dagegen, der kaum zwei Jahre älter war als Thomas, angespannt und in Gedanken weit weg.
Friedrich von Schwaben hatte wie sein Vater das Kreuz genommen. Sein älterer Bruder jedoch war nur hierhergekommen, um den Vater zu verabschieden und sich die Regentschaft übertragen zu lassen. Wenn morgen das Heer weiterzog, würde er über das Kaiserreich herrschen, bis sein Vater zurückkam. Falls sein Vater zurückkam.
Unter gesenkten Lidern musterte Thomas den vierundzwanzigjährigen König, der nichts von der würdevollen Ausstrahlung seines Vaters besaß, sondern grausam und gefährlich wirkte und sich nicht die geringste Mühe gab, das zu verbergen.
Der Allmächtige behüte uns, dachte Thomas, wenn Albrecht die Mark Meißen regiert und Heinrich das Kaiserreich.
Auf der anderen Seite des Thrones standen der kaiserliche Marschall Heinrich von Kalden und sein Truchsess Markward von Annweiler.
In Gedanken bedauerte Thomas den Freund angesichts der Aufgabe, vor all diesen bedeutenden Männern das ungeheuerliche Geschehen auf Burg Döben irgendwie in schmückende Worte zu fassen, um in der höfischen Gesellschaft kein Missfallen zu erregen.
Aber entweder fand Roland keine schmückenden Worte, oder er war der Meinung, die Sache sollte nicht verharmlost werden. Jedenfalls brachte er die Angelegenheit geradeheraus und mit einem einzigen Satz zur Sprache.
»Fürst Otto, Euch treu ergebener Markgraf von Meißen, wird auf Burg Döben von seinem erstgeborenen Sohn Albrecht gefangen gehalten, der so die Herrschaft über die Mark erzwingen will.«
Im ersten Moment schien es, als reagiere niemand auf diese Worte. Alle Anwesenden wirkten wie erstarrt. Dann sah Thomas, wie
das Gesicht des Kaisers zuckte.
»Der Sohn lehnt sich gegen den Vater auf? Gegen Gottes Gebot?!«
Für einen beinahe Siebzigjährigen hatte der Kaiser eine bemerkenswert kraftvolle Stimme – und der Zorn darin war unverkennbar.
Es wird nicht der erste machthungrige Sohn sein, der nicht abwarten kann, bis sein Vater ihm das Erbe übergibt, dachte Thomas mit jäh aufflackerndem Zynismus. Aber es sollte ihm nur recht sein, wenn Albrechts Handeln den Kaiser so aufbrachte. Vielleicht schickte er ihn in die Verbannung und schloss ihn von der Erbfolge aus. Das wäre ihrer aller Rettung.
Verstohlen ließ er seine Blicke zwischen dem Kaiser und dem König hin- und herschweifen.
»Das ist … ungeheuerlich!«
Friedrich von Staufen, der als Vorbild an Beherrschung und höfischem Benehmen galt, schlug den Pokal mit der Hand beiseite, den der Schenk ihm reichen wollte, und umklammerte die verzierten Armstützen des Sitzes, bis seine Fingerknöchel weiß wurden.
»Auflehnung! Gegen Gottes Ordnung! Gegen
meine
Befehle!«, rief er und stemmte sich halb hoch. »Ich sollte ihn als Landfriedensbrecher hinrichten lassen! Kaum bin ich aus dem Land, glaubt er, ungestraft nach den Lehen greifen zu können, die
ich
zu vergeben habe.«
Niemand sagte ein Wort. Wahrscheinlich – so zumindest erschien es Thomas – waren auch die engsten Vertrauten des Kaisers erschrocken über diesen Zornesausbruch.
Nach schier endlos wirkendem Schweigen räusperte sich der König und fragte mit merkwürdig schleppender Stimme in die Stille hinein: »Hatte denn Euer Bruder Anlass zu … solchem Benehmen, Graf Dietrich? Wie ich hörte, bedrängt Eure Mutter ihren Gemahl schon seit langem, Euch gegenüber seinem Erstgeborenen vorzuziehen. Nun steht Ihr hier und führt Klage gegen Euren Bruder. Es
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