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Der Fluch der Makaá

Der Fluch der Makaá

Titel: Der Fluch der Makaá Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Talbiersky
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jeden Abend hierher, um es mir anzusehen. Es ist immer wieder aufs Neue faszinierend. Manche Dinge werden einem einfach nicht langweilig, so oft man sie auch wiederholt. Beinahe wie eine Sucht – kennst du das?“
    Ich kannte es nicht, doch ich glaubte zu erahnen, was Karina meinte – zumindest was den Sonnenuntergang anbelangte. Sie ließ sich am Beckenrand des Pools nieder, um die Beine im Wasser baumeln zu lassen, und ich tat es ihr nach.
    „Machst du zum ersten Mal Urlaub in Venezuela?“, erkundigte ich mich neugierig.
    „Wer sagt, dass ich im Urlaub bin?“, meinte Karina mit einem schelmischen Gesichtsausdruck, der mich ob meiner Behauptung etwas verlegen machte. „Nun, ich habe es angenommen. Aber gut, wenn du keine Ferien machst, wieso bist du dann in Caracas?“
    „Aus beruflichen Gründen“, ließ sie mich wissen, und als sie meine bohrenden Blicke spürte, fügte sie rasch hinzu: „Ich bin seit zwei Wochen hier, und nein, ich bin nicht zum ersten Mal in Venezuela.“
    „Was machst du beruflich?“
    „Ich mache die Auslandskorrespondenz für eine Zeitung, ich bin Journalistin.“
    „Und worüber schreibst du?“
    „Über dies und das…“, säuselte sie verklärt. „Hauptsächlich befasse ich mich mit der Rubrik: Kunst und Kultur in unserer Welt . Meine Arbeit hat mich schon zu den aufregendsten Plätzen der globalen Kunstgeschichte geführt. Ich war in Madrid , Rom, Paris , New York , St. Petersburg … Ich lerne die bedeutendsten Maler der Moderne persönlich kennen, führe aufschlussreiche Gespräche mit den Kunstexperten in aller Herren Länder, weiß um die Geheimnisse der alten Meister und bin in fast allen Museen der Welt zu Hause. – Das Sofia Imber Contemporary Art Museum in Caracas ist übrigens eines meiner Lieblingsmuseen. Es gibt dort ein sehr schönes Matisse-Gemälde. Ich glaube, du weißt, von welchem ich spreche…“
    Ganz deutlich und quälend langsam fühlte ich, wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich und mein Mund austrocknete, bis ein Schlucken unmöglich wurde. Was um Himmels willen hatte Oliver nur angerichtet? Vater würde uns allen den Kopf abreißen – und wenn nicht er, dann die Mutter! Von allen Menschen musste sich mein dummer, kleiner Bruder ausgerechnet eine Zeitungsreporterin für Kunst und Kultur aussuchen, um das Geheimnis der Odalisque zu enthüllen! Das durfte nicht wahr sein! Es durfte einfach nicht wahr sein!
    Karina hatte mich mit einer für sie ungewöhnlichen Ernsthaftigkeit genau beobachtet, und erst jetzt wieder umspielte allmählich das sanfte Lächeln ihre Mundwinkel. „Na, komm schon, Kleine, ich habe dir doch gesagt, dass ich schweigen kann wie ein Grab. Glaubst du denn ehrlich, ich würde einen Artikel schreiben, allein aufgrund der blassen Kenntnis, die ich durch deinen kleinen Bruder gewonnen habe?“ Sie lachte herzlich. „Mein Chef würde mich in hohem Bogen rausschmeißen! Komm schon, Melanie, hast du das wirklich von mir geglaubt?“
    „Ehrlich, ich hatte schon die Schlagzeile vor mir gesehen!“, gab ich zu und musste nun auch lachen. So wie Karina die ganze Angelegenheit ins Licht rückte, erschien es mir geradezu lächerlich. Wirklich. Was für eine Aussagekraft hatte schon das Wort eines Achtjährigen? Niemand konnte mit seiner Behauptung etwas anfangen, denn mehr war es ja nicht: nur eine unbewiesene Behauptung.
    „Außerdem ist es doch noch gar nicht sicher, dass es eine Fälschung ist, oder doch?“, hakte Karina vorsichtig nach.
    „Nein, meine Eltern arbeiten noch daran“, sagte ich kopfschüttelnd. Zuerst hatte ich überlegt, ihr von dem Schatten zu erzählen, den meine Mutter entdeckt zu haben glaubte, doch ich wollte das Thema schnellstmöglich zu Ende bringen. „Es ist noch nicht sicher.“
    Karina nickte. „Gut – ähm, die Odalisque gehört zu meinen Lieblingswerken von Matisse. Sie ist so liebreizend, weißt du? Es wäre schrecklich, wenn das Original verschwunden wäre“, erklärte sie ihre plötzliche Erleichterung. Wir ließen das Thema auf sich beruhen und schwiegen eine Weile vor uns hin.
    Immer mehr Leute verließen die Dachterrasse, und auch ich hatte das Gefühl, es wäre langsam an der Zeit, nach meinen Brüdern zu sehen, doch ein innerer Drang hielt mich zurück. Ich hatte mir den ganzen Tag schon den Kopf darüber zerbrochen: etwas ergab keinen Sinn, und ich wusste, dass ich die Nacht nicht würde schlafen können, ehe ich es nicht herausgefunden hatte, also fragte ich: „Und das

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