Der Fluch der Makaá
mein Vater zu. „Ich will das Zeichen in der Museumsbibliothek nachschlagen, vielleicht finde ich etwas darüber. Juan wird mir ganz sicher helfen mich im Katalog zurechtzufinden.“
„Und was machen wir?“, mischte sich Oliver ein. Meine Mutter hob die Brauen und meinte in gespielt gelangweiltem Ton: „Nun, ich dachte, wir schauen uns heute einmal Caracas an. Natürlich nur, wenn ihr noch nichts Besseres vorhabt. Ich habe gehört, in diesem Hotel findet zurzeit ein aufregendes Kickerturnier statt… Ob sich die Champions da wohl einen Tag freinehmen können?“
Oliver hüpfte vor Aufregung auf seinem Stuhl. „Und ob sie das können!“
Daniel fuhr uns durch die breiten und durch die engen Straßen Caracas’. Er war schweigsamer als bei unserer Ankunft. Auch fuhr er wesentlich langsamer und konzentrierter. „Ich habe gestern eine kurze Bemerkung über seinen Fahrstil fallen lassen“, raunte meine Mutter uns zu, „ich denke, der junge Mann ist noch etwas nachtragend – aber dafür machen wir jetzt eine Auto- und keine Höllenfahrt.“
Unser erstes Ziel war das historische Stadtzentrum, dessen Kern die Plaza Bolívar bildet. Ein imposantes Denkmal erinnert dort an den großen Befreier. Es zeigt ihn als entschlossenen Reiter auf einem feurigen Pferd, das sich aufbäumt. Wenn Bolívar tatsächlich diese Energie und Zielstrebigkeit besessen hatte, die sein bronzenes Ebenbild versprüht, so wundert es mich nicht, dass dieser Mann halb Südamerika aus den Händen der Kolonialherren befreien konnte.
Obwohl wir den Platz an einem Wochentag besuchten, waren kaum Leute anwesend. Beinahe wie eine Oase erschien er mir angesichts des hektischen Treibens der Großstadt. Direkt hinter der Plaza ragte eine hübsche Kathedrale in den azurblauen Himmel.
„Sie wurde 1674 erbaut und ist damit nur etwa hundert Jahre jünger als Caracas“, erklärte Daniel, der offensichtlich bereit war, das Eis wieder zu brechen. „Nicht einmal das schwere Erdbeben von 1812 konnte ihr etwas anhaben. Es muss wohl die Kraft der Berge sein, die sie alles überstehen ließ, und natürlich der Beistand von oben… Übrigens: Bolívar und seine Frau sind in einer der Hauptkapellen beigesetzt. Wollen wir reingehen?“
Daniel kannte sich in der Geschichte seines Landes bestens aus, und erzählte alles mit einem Eifer, der selbst die langweiligsten Fakten in faszinierende Erlebnisse verwandelte. Zu Fuß erkundeten wir die kolonialen Denkmäler und Bauten und machten nur einmal zur Mittagszeit Rast, um uns in einem Straßencafe Pepitos zu kaufen, Brötchen, die lecker mit Gemüse und pikant gewürztem Fleisch gefüllt sind.
Unser Weg führte vorbei an dem Capitolio Nacional, an der Casa Amarilla sowie an der Santa Capilla, die mir mit ihren unzähligen Zacken und Türmchen von allen Bauten am besten gefiel. Anschließend, es war schon Nachmittag, fuhr Daniel uns zum Parque de Los Caobos, in dem wir einen herrlichen Spaziergang in grüner Natur unternahmen. Von hier aus war es nicht sehr weit bis zum Sofia Imber Museum, und da sich der Tag allmählich dem Ende zuneigte, beschlossen wir, meinen Vater zu besuchen.
Wir fanden ihn in der Museumsbibliothek. Bei verstaubtem Lichteinfall sahen wir, wie er mit zwei jungen Venezolanern heftig diskutierte. Einen von ihnen stellte meine Mutter uns später als Juan Santos, den anderen als Rico de Silva vor. Señor Santos war hager und hochgewachsen. Er mochte noch keine dreißig sein, doch schon jetzt zeichneten sich über seinen Schläfen leichte Geheimratsecken ab, was ihn irgendwie aristokratisch aussehen ließ. Auf seiner geraden Nase saß eine schmal umrandete Brille, die er sich stets mit Zeige- und Mittelfinger zurechtrückte, als befürchtete er, sie könnte ihm von der Nase rutschen. Insgesamt schien er sehr korrekt und steif, sodass Rico de Silva, mit seinem zerzausten Haaren, dem grauen T-Shirt und den ausgeblichenen Jeans, neben ihm aussah wie jemand von einem anderen Stern. De Silvas Gesichtszüge waren freundlich, und ich konnte mir vorstellen, dass er trotz, oder auch gerade wegen seines lateinamerikanischen Temperamentes, das in seinen Augen blitzte, ein sehr gewinnendes Wesen hatte – vor allem wenn er lächelte. Doch im Augenblick war Rico de Silva sehr ernst.
„Bei allem Respekt, Señor Feldmann, aber Sie sehen Gespenster“, hörte ich ihn aufgebracht. Die drei Männer hatten uns noch nicht bemerkt. Ich hatte die Stimme sogleich wieder erkannt, die ich Tage zuvor am Telefon vernommen
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